Außenpolitik Deutschlands 20051130 Spalte für Kommentare
Rede von Bundesaußenminister Steinmeier vor dem Deutschen Bundestag am 30.11.2005

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Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Den Satz meines Amtsvorgängers "Wir unterschätzen uns" haben Sie hier in diesem Haus so oft gehört wie ich. Ich bekenne: Die wahre Dimension dieser Mahnung wird mir eigentlich erst nach der ersten Runde von Antrittsbesuchen, die ich im europäischen und außereuropäischen Ausland hinter mir habe, zunehmend deutlich.
Nun sollte man sich aber auch nicht "überschätzen", denn die Rede kommt m.E. aus den alten Fahrwassern nicht heraus.
Mit anderen Worten: Ich bin ehrlich tief beeindruckt, dass sich aus allen Gesprächen eigentlich eine einzige klare Grundbotschaft herauskristallisiert:  
Unsere Freunde und Partner sehen mit großen – ich finde sogar: mit riesigen – Erwartungen auf unser Land und die neue Bundesregierung. Sie erwarten, dass wir auch in Zukunft Verantwortung und Gestaltungswillen für Europa, für den Balkan, für die Zukunft unseres Kontinents und auch weit darüber hinaus, etwa in Afghanistan, im Nahen und Mittleren Osten, bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, beim Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, beim Einsatz für einen freien und fairen Welthandel und beim internationalen Klimaschutz zeigen. "Unseren Freunden und Partnern" sollte man mal mit der Anfrage kommen, wann denn auch sie auf ATOMWAFFEN verzichten wollen - oder ob es ihnen "beim Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen" nur um die Wahrung ihres Vorsprungs geht.
Meine Damen und Herren, ich finde immer noch, dass sich diese Erwartungen nicht ganz selbstverständlich an uns richten. Deshalb hat es mich gestern in New York auch ganz besonders berührt, dass sich insbesondere auch die Vertreter der jüdischen Organisationen mit in diesem Sinne hohen Erwartungen an unsere Außenpolitik und an die Übernahme von Verantwortung an uns gerichtet haben.
Rührende Begegnungen haben wir alle. Wichtiger aber ist mitunter, was denn unter "Übernahme von Verantwortung" exakt zu verstanden sein soll. 
Die Haltung unserer Freunde und Partner, mit denen ich
sprechen konnte, zeigt eines ganz klar:

Deutschland ist es gelungen, in den letzten 15 Jahren seinen Platz in der Welt neu zu bestimmen. Diese Neubestimmung wurde mit einer Ausnahme im Parlament von allen Parteien mitgetragen und hat unser außenpolitisches Credo nie preisgegeben, nämlich ein verlässlicher Partner in den Vereinten Nationen zu sein, multilateral aus Überzeugung und in Achtung des Völkerrechts und der Menschenrechte.
Das ist leider nicht war, denn den Vereinten Nationen allenfalls im Kontext des Irak-Kriegs verlässlich, während bei zwei weiteren Kriegen die UNO in Situationen gebracht wurde, in denen sie nur noch abzusegnen hatte, was längst im Gange war. Und dazu war die UNO nur bereit, um schlimmere Entwicklungen zu vermeiden, die dadurch entstanden wären, wenn sie den USA und deren Alliierten nicht in die Kriegerei gefolgt wäre.  
Wir alle haben lernen müssen, dass mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes alte Selbstverständlichkeiten nicht mehr ohne weiteres gelten.   
Das war nicht selten unbequem, eröffnet aber, um eine Formulierung aus der Regierungserklärung aufzugreifen, neue Möglichkeiten.
Diese Möglichkeiten, diese Chancen der Globalisierung sollten wir angesichts einer – die Talkshows sind vorhin genannt worden – zu Krisen- und Untergangsfantasien neigenden Öffentlichkeit mindestens ebenso deutlich herausstellen wie die vielen Gefahren, die wir natürlich weder ignorieren noch kurzfristig beseitigen können.
Man darf gespannt sein.
Aber wir müssen daran – vielleicht in der Zukunft mit noch mehr Ehrgeiz - arbeiten. Aber bitte: Chancen und Risiken – das ist die Botschaft – sind Teil jener Zukunft, die wir gemeinsam gestalten wollen.  

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem bekannten und einflussreichen amerikanischen Wissenschaftler und Politikberater Jeremy Rifkin, den wir im vergangenen Jahr zu einer Diskussion hier hatten. Ein Satz ist mir in Erinnerung geblieben:

"Warum seht ihr nicht, dass Europa für viele Menschen in der Welt ein Ort der Hoffnung und der Zuversicht für eine bessere Weltordnung ist?"
 
Er hat uns, den Deutschen, und uns, den Europäern, bei der Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft etwas mehr Pioniergeist und Fortschrittsoptimismus gewünscht. Das dürften Tugenden sein, die mit dem Selbstverständnis und der Programmatik beider Regierungsparteien und, wie ich hoffe, sogar darüber hinaus vereinbar sind. Schön für ihn, schön für Steinmeier, wenn es ihm daran fehlte und jetzt nicht mehr.
Auf vielen Feldern, zum Beispiel der Zukunft der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik – die europäische Sicherheitsstrategie ist in der Regierungserklärung genannt worden – sowie des künftigen Verhältnisses zwischen Europa, den Vereinigten Staaten und Russland, auf diesen Baustellen sind wir noch weit davon entfernt, zu Antworten zu kommen, die den tektonischen Verschiebungen der letzten Jahrzehnte gerecht werden. Diese wichtigen Baustellen sind schon heute absehbar. Neue Herausforderungen werden hinzukommen. Für mich heißt eben Kontinuität in der Außenpolitik in diesem Sinne nicht Stillstand, sondern Kontinuität heißt in diesem Sinne, kreativ nach neuen Antworten und Lösungen zu suchen.
 
Wenn ich das für die Zukunft sage, dann sage ich auch, dass dieses Land mit Stolz auf das zurücksehen kann, was wir in den letzten Jahren seit der deutschen Wiedervereinigung geleistet haben. Deutsche Soldaten und Polizisten sind heute an vielen Orten der Welt im Friedenseinsatz.
Das könnte allenfalls dann mit Stolz erfüllen, wenn diese Einsätze von vornherein durch die UNO veranlasst worden wären, aber Kosovo und Afghanistan waren doch eher Paddeleien im Fahrwasser der US-Flugzeugträger.
Ich sage vor diesem Hause: Der Deutsche Bundestag hat mit seiner übergroßen Mehrheit immer dann, wenn es verantwortbar war, und insbesondere dann, wenn es darauf ankam, Ja zur Übernahme von mehr Verantwortung für Frieden und Demokratie gesagt.
 
Vielleicht ist es vor diesem Hintergrund kein Zufall, dass die erste Kabinettsvorlage, die ich in meiner neuen Funktion im Hause des Auswärtigen Amtes zu unterzeichnen hatte, eine war, die mit diesen internationalen Friedenseinsätzen zu tun hatte, nämlich die deutsche Beteiligung an der Grenzschutzmission in Rafah, die, wie ich finde, ein sichtbarer Beitrag Europas zur Schaffung von Stabilität in der schwierigen Nachbarschaft zwischen Israel und Palästina ist.  
Wir haben gemeinsam den Kampf gegen den internationalen Terrorismus aufgenommen und sowohl im Bereich der Innen- und Justizpolitik als auch, wie ich meine, in der Außenpolitik das Notwendige getan, ohne die Prinzipien von Toleranz und Rechtsstaatlichkeit aufzugeben. Zudem – das darf ich trotz aller Auseinandersetzungen in der Vergangenheit feststellen – stehen wir gemeinsam zu der Entscheidung, keine deutschen Truppen in den Irak zu entsenden.  
Ich sage das auch deshalb, weil ich nach den Gesprächen mit der amerikanischen Außenministerin gestern den vertieften Eindruck gewonnen habe, dass dies auch von den amerikanischen Freunden und Partnern akzeptiert wird, und zwar nicht nur deshalb, weil unser Beitrag – der militärische Beitrag in Afghanistan und der zivile beim Wiederaufbau im Irak – gesehen und anerkannt wird, sondern auch deshalb, weil die Vereinigten Staaten von Amerika zu Recht auf ein starkes und selbstbewusstes Deutschland setzen.   
Ich betone ausdrücklich:

Wir wollen gute und, wo nötig, auch kritisch-konstruktive Partner sein, und zwar aus Dank für die Hilfe, die wir in der Vergangenheit erfahren haben, und aus der gemeinsamen Verantwortung für eine gerechte und friedliche Weltordnung, Prinzipien also, die wir auch im Kampf gegen den Terrorismus zu beachten haben. Das war, wie Sie aus den Medien wissen, auch Gegenstand der Gespräche am gestrigen Tage.

 
Sicherlich ist noch in beunruhigender Weise unklar, was von Medienberichten über Gefangenentransporte und geheime Gefängnisse zu halten ist.

Wir brauchen Aufklärung. Darin sind wir uns mit den europäischen Partnern einig.

Ich habe aber nach den Gesprächen in Washington den Eindruck, dass das verstanden worden ist, und ich hoffe, dass die Antwort auf die europäischen Fragen zeitnah erfolgt und Klarheit schafft.

>> CIA-Gefängnisse


Im Übrigen – das ist nicht unwesentlich – war ich mir mit den amerikanischen Gesprächspartnern darin einig, dass wir an den Differenzen der Vergangenheit, die es durchaus gab, gearbeitet haben, und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks erfolgreich und mit Zukunftsperspektiven. Wir haben eine Vielzahl gemeinsamer Interessen.
 
Wir wollen jetzt nach vorne blicken und sehen, was wir zur Stabilisierung der Situation etwa in Afghanistan, auf dem Balkan, im Nahen und Mittleren Osten, bei den östlichen Nachbarn der Europäischen Union oder in Zentralasien beitragen können. Klar war auch: Unsere guten Beziehungen zu Russland werden nicht etwa argwöhnisch beäugt, sondern ausdrücklich begrüßt, weil ein Russland, das sich nach Westen orientiert, in unserem gemeinsamen Interesse liegt und weil Russland ein unverzichtbarer Partner für Frieden und Stabilität in Europa und den Nachbarregionen ist.  

Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung schon einen umfassenden Überblick über die anstehenden außen- und europapolitischen Fragen gegeben. Ich will mich deshalb in der knappen zur Verfügung stehenden Zeit auf zwei Punkte beschränken.
 
Der erste Punkt ist der Iran.

Aus meiner Sicht ist eine Lösung im Streit um den iranischen Nuklearehrgeiz am drängendsten.
Kein anderes Thema hat in meinen Gesprächen in den vergangenen Tagen einen so breiten Raum eingenommen.
Wir teilen die Besorgnisse des überwiegenden Teils der internationalen Staatengemeinschaft.

>> Iran

Wir brauchen absolute Sicherheit und objektive Garantien, dass bei der zivilen Nutzung von Kernkraft keine militärisch nutzbaren Waffentechnologien vorbereitet werden.
Solche Sicherheit gibt es nicht. 

Und schon gar nicht, wenn man dem Iran durchgehen lässt, dass er die "Auslöschung Israels" will.
>> Iran vs. Israel 25.10.2005

Gleichzeitig – das ist meine feste Überzeugung – bleibt aus unserer Sicht die Verhandlungslösung der beste Weg. Ich halte die Anrufung des IGH mit dem Ziel für unumgänglich, dass sich Teheran von seiner antiisraelischen Politik verabschiedet.
Deshalb hat die IAEO mit unserer Unterstützung Teheran nochmals aufgefordert, alle Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag zu erfüllen. Diesen Verpflichtungen ist Teheran aus Sicht der IAEO in wichtigen Punkten noch nicht nachgekommen.  
Deshalb haben die drei europäischen Staaten, die die Verhandlungen in der Vergangenheit geführt haben, vor wenigen Tagen den Vorschlag des Iran aufgegriffen, die Gespräche möglicherweise demnächst erneut aufzunehmen.   
Wir haben das davon abhängig gemacht – deshalb ist der Startschuss für den Wiederbeginn der Gespräche noch nicht gefallen –, dass der Iran Signale gibt, dass er von der in jüngster Zeit zu beobachtenden Praxis einseitiger Schritte ablässt und eine Lösung akzeptiert, die dem Iran die friedliche Nutzung der Atomkraft erlaubt, gleichzeitig aber ausschließt, dass der Brennstoffkreislauf geschlossen wird.   
Man wird in den Gesprächen sehen, ob unter anderem der von Russland in die Debatte eingebrachte Lösungsvorschlag, die Anreicherungsvorgänge außerhalb des Staatsgebietes des Irans vorzunehmen, eine Basis für die Wiederaufnahme der Verhandlungen ist. Wenn die Staaten wieder mal nur hinter Wirtschaftsaufträgen her sind, dann werden sie sich wohl kaum darauf verständigen können, wie mit dem Iran umzugehen ist.
Wir hoffen jedenfalls – das als vorläufige Conclusio –, dass der Iran klug genug ist, dieses Angebot anzunehmen und eine Lösung auf dem Verhandlungswege und damit unter dem Dach der IAEO zu ermöglichen.  
Ich füge aber hinzu: Die Geduld derjenigen, die bereits viele Verhandlungsrunden hinter sich gebracht haben, wird endlich sein. Wenn der Iran nicht bereit ist, die
Forderungen der IAEO zu erfüllen, dann wird man irgendwann gar nicht umhinkommen, über den Gang zum Sicherheitsrat ernsthaft nachzudenken.
 
Das Stichwort, das in diesen Zusammenhang zwingend gehört, ist schon heute Morgen in der Regierungserklärung gefallen. Wir haben die antiisraelischen Äußerungen des iranischen Ministerpräsidenten Ahmadinedschad mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen.   
Niemand hat das Recht, das Existenzrecht Israels infrage zu stellen. Aber Teheran wiederholt es fortlaufend. Wenn Teheran "kein Recht" dazu hat, dann muss man auch dafür Worte finden, was der Rechtsbruch für  Rechtsfolgen für Teheran hat. 
Ich habe zu diesem gesamten Vorgang kürzlich in einer anderen öffentlichen Rede gesagt: Ich bedauere es sehr – genauer gesagt: es ist fast eine Tragödie –, dass der Iran sein großes Potenzial, ein Stabilitätsanker in einer krisengeschüttelten Region des Mittleren Ostens zu sein, entweder nicht erkennt oder sogar bewusst verspielt.
"Bedauern" genügt gewiss nicht.
Der zweite Punkt, der unsere besondere Aufmerksamkeit erfordert – wem sage ich das! –, ist die Lösung der europäischen Finanzfragen. Wir hoffen und setzen darauf, dass von der britischen Ratspräsidentschaft in der nächsten Woche Vorschläge vorgelegt werden.  
Aus meiner Sicht und aus der vieler europäischer Kollegen, mit denen zu sprechen ich in den letzten Tagen Gelegenheit hatte, ist eine Einigung auf dem bevorstehenden Gipfeltreffen unabdingbar, jedenfalls dann, wenn wir sicherstellen wollen, dass die neuen Mitgliedstaaten der EU nicht nur eine formale Mitgliedschaft erworben haben, sondern auch die Möglichkeit erhalten, tatsächlich in die Europäische Union hineinzuwachsen.  
Gerade die neuen Mitgliedstaaten brauchen einen Finanzrahmen, damit Mittel aus der Strukturpolitik fließen können. Ohne eine Verständigung über die finanzielle Vorausschau hängt das große Erweiterungsprojekt von 2004 – das liegt auf der Hand – zumindest mit einem Bein in der Luft. Wir kennen die britischen Vorschläge noch nicht. Sie werden, wie ich eben angedeutet habe, auf jeden Fall kommen. Aber ich habe die Ernsthaftigkeit aller an diesem Prozess Beteiligten festgestellt, das Projekt der finanziellen Vorausschau noch vor Weihnachten zu einem guten Ende zu bringen. Die Bedingungen dafür sind für uns klar: Der von der Luxemburger Präsidentschaft vorgeschlagene Ausgaberahmen darf und kann jedenfalls aus unserer Sicht nicht überschritten werden.
 
Ein abschließender Satz zum Geiseldrama, aber vielleicht aus einer etwas anderen Perspektive.

Natürlich sehe ich – das habe ich gegenüber der Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht – das Schicksal der deutschen Geisel und ihres Fahrers im Irak mit großer Sorge. Sie wissen, dass alle unsere Anstrengungen darauf gerichtet sind, das Leben der Geiseln zu schützen und die Freilassung zu erreichen.
In diesem Zusammenhang bestand gestern bei den Gesprächen in den USA die Möglichkeit, den amerikanischen Partner zu bitten, mit regionalem Wissen und Kenntnis der Personalstrukturen behilflich zu sein. Das ist zugesagt worden. Die Deutsche Botschaft, das BKA und das Auswärtige Amt mit seinem Krisenstab sind im Augenblick intensiv bei der Arbeit.

>> Irak: Susanne Osthoff und Nadeem Elyas

Ich habe das Thema vor allen Dingen aber angesprochen, um einen anderen Aspekt zu betonen. Ich glaube, dass sich gerade in Momenten wie diesen zeigt, wie wichtig es ist, dass unser Land auf Menschen bauen kann, die im Ausland – oft unter schweren Bedingungen – ihren Dienst versehen.
 
Ich glaube – Frau Merkel, ich habe es nicht endgültig nachprüfen können –, wir haben mit unserer Koalitionsvereinbarung insofern eine Premiere geschafft, als diese Koalitionsvereinbarung zum ersten Mal allen dankt, die im Ausland für Deutschland unterwegs sind: den Diplomaten und den Soldaten sowieso, aber auch denjenigen, die als Entwicklungshelfer, Polizisten, Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen oder politischen Stiftungen im Ausland unterwegs sind.
 
Wir tragen für alle diese Personengruppen eine besondere Verantwortung. Diese Personen müssen wissen, dass sie sich stets auf unser Verständnis, unsere Unterstützung und unsere Wertschätzung verlassen können.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
 
   
Das transatlantische Bündnis war uns auch zu Zeiten bekannt, als die frühere Regierung im Begriff war, dieses für nicht mehr so bedeutungsvoll zu halten.   
Dass wir in Europa mit den kleinen und mittleren Staaten kommunizieren müssen, haben Sie zu Recht dargestellt.

Dass dies vernachlässigt wurde, haben wir als Manko der früheren Regierung empfunden. Das muss man uns eigentlich nicht vortragen. Dass die Europäische Union größer geworden ist, hätte auch schon die alte Regierung dazu zwingen müssen, mit mehr Staaten zu kommunizieren. Es ist ja genau das, was der frühere Bundeskanzler eigentlich nicht gemacht hat und Sie jetzt in der Reisediplomatie nachholen.

 


Ich will angesichts der klaren Grundlinien und der Bedeutung der deutsch-französischen Freundschaft feststellen, dass diese Zusammenarbeit für uns wichtig ist und dass auch mit unserer Regierungsbeteiligung keine andere Reise stattgefunden hätte als zuerst die nach Paris, dann nach Brüssel und anschließend nach London. Ich begrüße es auch außerordentlich, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie dann nach Warschau fahren.
Das ist alles unbestritten. Aber im Kern muss man ja überlegen, was am Ende herauskommen soll, um europäische Anliegen weiter zu bewegen. Die beiden großen Kontinentalstaaten Deutschland und Frankreich, die einst der Motor der Europäischen Union waren, sind das nicht mehr.
 
Sie haben Beschäftigungsprobleme, sie haben Budgetprobleme. Sie haben nicht die Wirtschaftskraft, die die Eurozone eigentlich nach oben bringen könnte. Sie schwächeln eher. Sie sind kein dynamisches Tandem mehr.

Wenn sie wieder eine Führungsfunktion ausüben wollen, dann müssen sie zuallererst genau das erledigen, was zu erledigen wäre – nach unserer Auffassung wurde das in der Regierungserklärung nicht ausreichend beschrieben –: die Haushalte konsolidieren, für wirtschaftliches Wachstum sorgen, Beschäftigungsimpulse geben.

Ich wiederhole: Diese Aufgabe muss zuallererst erfüllt werden. Daran fehlt es.
 
Ein Zweites muss geschehen – in den letzten Jahren ist dieser Versuch etwas missglückt –: Wenn sie beide wieder ein Stück weit Führung in Europa wahrnehmen wollen, müssen sie sich eines gewissen Kommandotons gegenüber anderen eher enthalten. JA.
Sie müssen alle als gleichberechtigte Mitglieder der Europäischen Union ansehen; sie dürfen keine Unterschiede machen. Die deutsche Bundesregierung darf nie mehr in die missverständliche Lage geraten, dass sie vor dem Hintergrund einer strategischen Partnerschaft mit Russland in vielen Gesprächen in Moskau Sachverhalte behandelt, die anderen Ländern, die zwischen Russland und Deutschland liegen, so nicht gefallen.

Auch diese Länder sind unsere Partner, deren Interessen wir klar sehen müssen.
 
Es ist schon bemerkenswert – ich bin wohl kaum falschen Wahrnehmungen unterlegen –: Die Anzahl deutsch-russischer Treffen, insbesondere unter der vergangenen Bundesregierung, steht in einem krassen Missverhältnis der Kontakte zu den Staaten, die zur Europäischen Union neu hinzugekommen sind.
Diese Staaten hatten schon immer den Eindruck – das muss man wahrnehmen und spüren –, dass da manches verhandelt wird, was ihnen nicht gefallen könnte.
 
Deshalb bestreiten wir nicht die außergewöhnliche politische Bedeutung einer strategischen Partnerschaft mit Russland. Wir bestreiten auch nicht den Wert der deutsch-französischen Beziehungen. Wir möchten nur, dass die strategische Partnerschaft mit Russland mehr beinhaltet, als in diesem Land einen Energielieferanten zu sehen. Wir möchten vielmehr betonen, dass wir ein massives Interesse an der Transformation dieses Landes zu einem stabilen Rechtsstaat und zu einer stabilen Demokratie haben.
Das muss zum Dialog gehören.
 
In diesem Zusammenhang – strategische Partnerschaft mit diesem großen Land – sollten wir uns auch darüber klar werden, wie wir die Diktaturen mitten in Europa behandeln wollen. In einem Dialog mit dem russischen Präsidenten können wir über Belarus, über Moldawien und über Transnistrien nicht einfach hinweggehen. Ich bin für diese strategische Partnerschaft und ich bin für den Interessenabgleich; aber ich bin auch für die Erörterung der anliegenden Themen. Sonntägliche Ansprachen können nicht verdecken, dass wir eine strategische Partnerschaft mit Russland brauchen, dass dieses Land groß ist, acht Zeitzonen der Erde umfasst und ein wichtiger Energielieferant für Deutschland ist. Russland ist für mich aber mehr als ein Energielieferant. Russland kann und muss ein stabiler Partner sein, aber bitte einer, der demokratisch ist, bei dem Gerichte und eine unabhängige Justiz zu entscheiden haben und bei dem Verlässlichkeit für Investoren in der Welt herrscht.  
Wir haben es im Grunde genommen mit einem Steckenbleiben in Bezug auf das zu tun, was wir in den Vereinten Nationen erreichen wollen. Wir haben für unsere Pläne Partner gefunden: Brasilien, Indien, Japan. Wir sollten noch mehr suchen. Aber wir sollten diese Bemühungen nicht mehr so monothematisch wie die frühere Regierung darauf verengen, einen Sitz im Sicherheitsrat anzustreben. Die Bundestagsfraktion der FDP wird Sie, Herr Minister, in jedem Bereich unterstützen, der auf eine Stärkung der Vereinten Nationen abzielt. Unsere Fraktion bekennt sich zum Multilateralismus.

>> Weltsicherheitsrat

Wir wollen eine enge Bindung an das Völkerrecht. Wir neigen nicht zu unilateralen Aktionen, wie Sie alle wissen.  
Aber wir wollen der neuen Regierung schon sagen: Beschreiten Sie nicht mehr den alten, verengten Weg, einen Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat anzustreben! Treten Sie ein für eine Reform der Vereinten Nationen, für eine stärkere Durchsetzungsfähigkeit bei Menschenrechten, bei präventiven Konfliktlösungen und bei all dem, was dazugehört! Suchen Sie sich dafür auf internationaler Ebene Verbündete und halten Sie nicht nur Ausschau nach einer Lobby, die Sie in der Forderung unterstützt, dass Deutschland einen Sitz im Sicherheitsrat erhält! Jetzt besteht die Chance, die Politik gegenüber und in den Vereinten Nationen ein Stück weit neu auszurichten.  
In Bezug auf die Iranfrage haben Sie das massive Interesse an einer Verhandlungslösung zu Recht bekundet. Wir stimmen Ihnen zu, auch was die strategische Bedeutung, die Sie diesem Land zugeschrieben haben, angeht.  
Das Land könnte ein Stabilitätspfeiler in dieser Region vom Kaspischen Meer bis zum Mittelmeer sein, die bis heute mit Katastrophen schwanger geht. Es hat eine blühende Kultur. Es ist reich an Traditionen und Geschichte. Für Iran muss nur eines klar sein – darauf können wir nicht verzichten –:  
Iran hat jedes Recht auf ein friedliches Nuklearprogramm, aber die Öffentlichkeit muss davon überzeugt sein, dass es friedlich ist; hier besteht völlige Übereinstimmung.
 
Davon weichen wir nicht ab. Das muss der Staatsführung dort, der Bevölkerung, der gesamten Gesellschaft klar sein. Wir wollen, dass das Land eine Rolle spielt. Aber wir wollen auch, dass es sich so verhält, dass seine Nachbarn keine Angst vor ihm haben müssen. Das ist ein Mindesterfordernis des internationalen Umgangs gerade in einer Region, die bisher so wenig an Kooperation zustande bringt.  
So schön das Gruppenbild zum Jubiläumsjahr des Barcelona-Prozesses war – Herr Minister, Sie wissen wie ich: Eine größere Teilnahme aus den arabischen Staaten, genau aus den Staaten, für die wir den Barcelona-Prozess doch eigentlich organisiert haben, wäre wünschenswert gewesen.
 
Die Tatsache, dass die wichtigsten Staatschefs, die man dabei haben müsste, aus unterschiedlichen Gründen abgesagt haben, kann hier nicht einfach so stillschweigend übergangen werden. Der Barcelona-Prozess – er wird weitergeführt werden müssen – ist von uns eigentlich eingeleitet worden, um einem Teil der arabisch-muslimischen Welt plus Israel – dort ist man zum ersten Mal in Kommunikation mit den Nachbarn in einem breiten Gürtel um sich herum – zu signalisieren, dass wir ein massives Interesse an einem Transformationsprozess haben, dass wir ihn stützen wollen, auch finanziell, dass wir uns anstrengen wollen, damit er zustande kommt. Aber diese großartige Kultur der arabischen Welt produziert für uns bis heute noch nicht einmal ein Minimum an Kooperation.
Der wirtschaftliche Austausch in dieser Kette nordafrikanischer Länder wird eher behindert als begünstigt.

>> Mittelmeerkonferenz u. Terrorismusdefinition

Ich spreche das hier deshalb an, weil man natürlich auch sagen könnte: Wir begrüßen, dass der Barcelona-Prozess nun zehn Jahre besteht und damit ein Jubiläum begeht, und hoffen auf eine gute Fortsetzung.
Aber dann muss man schon tiefer eindringen, um zu sagen, wo es bisher hapert, wie wir die Probleme überwinden wollen und was jetzt zu tun ist. Wir müssen der arabischen Welt sagen, dass wir ihr nicht helfen können, wenn sie nicht ein Minimum an Kooperationsfähigkeit untereinander zustande bringt. 
 
Die gesamten Modelle, die wir für den Greater Middle East bisher diskutiert haben, sind nicht in einem Punkt aufgrund eigener Kommunikationsfähigkeit dort zustande gekommen.  
Ich sage das deshalb, weil dort das Wetter des Wohlstands gemacht wird, weil wir die Konflikte dieser Region in den deutschen Innenstädten haben, wenn wir sie nicht im Vorgriff mit der arabischen Welt lösen. Da kann von uns auch ein Stück Anspruch an die arabische Welt formuliert werden, selbst nach Konfliktlösungsmechanismen zu suchen, vor allem im Barcelona-Prozess.  
Damit wir uns nicht so sehr auf Europa konzentrieren, will ich noch eine Bemerkung zu Asien machen, im Übrigen auch mit dem Hinweis darauf, dass ein Stück Korrektur deutscher Asienpolitik ganz hilfreich wäre. In Asien konkurrieren eigentlich alle Nationen in einem Wettbewerb ihrer Volkswirtschaften mit jeweiligen Investitionen dort. Das reicht nicht aus.  
Es finden die europäisch-asiatischen Treffen statt, aber es gibt dahinter keine kommunikativen Strukturen, die in Asien selbst neben China auch die Länder in den Blick nehmen, für die das ebenfalls notwendig ist.
 
Indien wird meines Erachtens in der deutschen Außenpolitik viel zu wenig erwähnt, obwohl es eine gewachsene Demokratie ist, eine junge, energische, tatkräftige Bevölkerung hat. Wir sprechen kaum über mittelgroße asiatische Länder, die keine Einparteienherrschaft haben, die sich stärker auf demokratische Strukturen hin entwickeln, wie wir sie eigentlich gern hätten. Wir konzentrieren uns auf China, ohne das Thema Menschenrechte außerhalb internationaler Workshops ernsthaft mit China zu besprechen.  
Im Grunde genommen besteht schon die Notwendigkeit, im Dialog, den wir mit China führen, auch solche Sachverhalte zu besprechen.
Ich erwähne das deshalb, weil Politik nicht nur etwas mit dem Managen des Status quo und großen Kräftekonstellationen zu tun hat. Politik hat im Ursprung auch etwas damit zu tun, Transformationsprozesse einzuleiten, sie zu begleiten und Veränderungen herbeizuführen. Das geht nicht immer ohne Reibungen und auch nicht ohne unangenehme Begegnungen. Aber wir müssen sie angehen, gerade weil, Herr Minister, sich auf Deutschland neben fast überhöhten Erwartungen an uns auch die Hoffnungen vieler konzentrieren, dass wir Menschenrechte vertreten und denen helfen, die nicht wie wir in Freiheit leben können. Dies muss Wertmaßstab auch in der deutschen Außenpolitik bleiben.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
 
erschienen: Mittwoch 30.11.05

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