2003: Der Gerichtsprozess gegen Berlusconi wegen des Verdachts, in den
80er Jahren Richter bestochen zu haben, um ihre Entscheidung hinsichtlich
der Übernahme der staatlichen Lebensmittelgruppe SME zu seinen Gunsten zu
beeinflussen, wird durch ein Gesetz gestoppt, das den fünf führenden
Politikern Italiens, darunter auch ihm, weitreichende Immunität zusichert.
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2.7.2003 - Italiens
Medienunternehmer und Ministerpräsident Silvio Berlusconi gab in seiner
ersten Rede als turnusmäßiger EU-Ratspräsident vor dem Straßburger
Parlament ein Beispiel seiner moralischen Unbefangenheit, als er in Replik
auf eine Kritik des Sozialdemokraten Schulz sagte:
"Herr Schulz, ich weiß, dass in Italien derzeit ein Produzent einen
Film über Nazi-Konzentrationslager dreht. Ich würde sie für die Rolle
des Kapos vorschlagen. Sie wären perfekt dafür."
Nach einer Sitzung der konservativen Fraktion entschuldigte sich
Berlusconi "beim deutschen Volk, dessen historische Empfindsamkeit
mit der Äußerung nicht treffen wollte".
In Berlin und Rom wurden diplomatische Protestnoten ausgetauscht.
Kommentar:
Wer die Bilder zeigten, dass Berlusconi seinen Spruch für eine humorvolle
Polemik hielt, mit der er Martin Schulz in Sekundenschnelle zu einem
medien-prominenten Mann machte. Man könnte ihn allenfalls seiner
politischen Dummheit schelten und am Verstand der italienischen Wähler
zweifeln, die einen solchen Mann in der Politik zu dulden. Aber vor allem
letzteres werden die Berlusconi-Kritiker in ihrem Normal-Opportunismus
nicht wagen. Den Wähler beschimpft man nicht.
Stattdessen eilte man nach dem Spruch von Berlusconi in die für solche
Vorfälle typische "Betroffenheit". Europa werde durch
Berlusconis Ratspräsidentschaft Schaden nehmen usw. Der Mann sei
unberechenbar. -
Ja, das stimmt alles. Aber wer sich ernsthaft daran stört, dass Politiker
von ihrer Selbstherrlichkeit Gebrauch machen, sollte in Europa für
Gesetze sorgen, die der Selbstherrlichkeit begegnen, etwa dadurch, dass
nationale Gesetze, die führenden Politikern besondere Immunität
zusichern, gegen EU-Recht verstoßen. Und Silvio könnte ab sofort wieder
wegen der Korruptionsvorwürfe vor Gericht.
Oder eben auch durch ein EU-Gesetz, dass die Ämterverquickung von
Wirtschaftsunternehmen und Politik verbietet, aber damit würde man sich
in fast jeder EU-Parlamentsfraktion ins eigene hungrige Fett schneiden.
Und von solchen Forderungen war auch der Rede von Martin Schulz nichts zu
entnehmen, der zwar zurecht die persönliche Integrität Berlusconis
angezweifelt hatte, aber keinen Verstand dafür andeutete, wie das anders
als durch moralisches Gejammer politisch, also vor allem gesetzlich zu
regeln ist.
Viele Parlamentarier scheinen nicht zu wissen, was ihre eigentlich
parlamentarische Aufgabe ist: Gesetzgebung, Gesetzesverbesserung.
Stattdessen vertun sie Zeit und Steuergeld mit mehr oder minder dummen
Wahlkampfrhetorik.
Berlusconi, kein Nervenkitzel für mich, sondern nur ein etwas krasseres
Symptom für die Demokratiedefizite Europas.
Sven
Redax
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