Europa-Reden  
Rede von Staatssekretär Dr. Klaus Scharioth anlässlich des Festaktes im Lichthof des Auswärtigen Amts zur Unterzeichnung des EU-Beitrittsvertrages in Athen am 16. April 2003

Anmerkungen 

Sehr geehrte Botschafterinnen und Botschafter, sehr geehrte Gäste, liebe Freunde!

Heute ist ein großer Tag, ein wahrhaft historischer Tag für Europa, ein Tag auf den wir lange hingearbeitet haben! Europa freut sich. Und das zu Recht.

Auf der antiken Agora in Athen, dem Zentrum der attischen Demokratie, werden die Staats- und Regierungschefs der fünfzehn EU-Mitgliedstaaten und von zehn Beitrittsländern den EU-Beitrittsvertrag unterzeichnen. Sie besiegeln damit die Erweiterung der Europäischen Union um zehn Staaten: Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta, Zypern werden am 1. Mai 2004 Mitglieder der Europäischen Union, 75 Millionen Menschen werden dann neue Bürger der EU.

75 Millionen neue Bürger der EU

"Die Europäische Union wird größer" ist das Motto unserer Veranstaltung hier im Lichthof, wahrhaftig ein Anlaß, gemeinsam zu feiern. In Zusammenarbeit mit den Botschaften aller Beitrittsländer, der griechischen Ratspräsidentschaft und der Kommissionsvertretung in Berlin haben wir dieses Fest organisiert. Es ist mir eine große Freude und große Genugtuung, heute Gastgeber sein zu können an diesem historischen Tag und ich bedanke mich bei allen Beteiligten für ihre wichtigen Beiträge. Ich danke auch unseren Medienpartnern n-tv und Radio Multikulti für die Unterstützung. Wir werden hier im Lichthof nicht nur die Unterzeichnungsfeier in Athen live verfolgen können, sondern umgekehrt wird auch unsere Feier über Satellit und Internet übertragen.   
Verehrte Gäste,

Diese Erweiterung der EU markiert die endgültige Überwindung der Spaltung Europas, die nach dem Zweiten Weltkrieg unseren Kontinent fast 50 Jahre lang durch den Kalten Krieg hindurch geprägt hat. Sie macht den historischen Sieg der Freiheit unumkehrbar, den die Bürger Mittel- und Osteuropas mit Ihren friedlichen Demonstrationen und unblutigen Revolutionen in den Jahren 1989/90 mutig erkämpft haben.

Überwindung der Spaltung Europas

Der Beitritt dieser Staaten zur Europäischen Union bedeutet zugleich, daß auch sie an dem seit über 50 Jahren erfolgreichen Modell europäischer Integration mitarbeiten können. Es baut auf unseren gemeinsamen Werten auf - auf Demokratie, Marktwirtschaft, Rechtstaatlichkeit, Menschen- und Minderheitenrechten. Mit dem europäischen Einigungsprozess haben wir die Lehre aus dem politischem Fiasko der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa gezogen. Trotz aller möglichen Meinungsverschiedenheiten unter den EU-Mitgliedern - und die soll es gelegentlich geben -: gefährliche Spannungen oder gar ein Krieg unter ihnen scheinen heute so ausgeschlossen wie noch nie in der langen und streckenweise leidvollen Geschichte des europäischen Zusammenlebens.  
Die europäischen Staaten - zunächst die Staaten Westeuropas, und nun auch die mittel- und osteuropäischen Staaten - haben sich stattdessen im Zuge des europäischen Einigungsprozesses entschlossen, Teile Ihrer Souveränitätsrechte gemeinsam auszuüben. Durch die Bündelung ihrer Kräfte vergrößern sie ihr Gewicht in der Welt – in internationalen Organisationen aber auch in der praktizierten Außenpolitik. Und je mehr wir lernen mit einer Stimme zu sprechen und die Strukturen dafür zu schaffen - und hier liegt eine wichtige Aufgabe des Konvents -, desto wirkungsvoller werden wir für unsere Werte eintreten können. Und diese Einigung geschieht, ohne daß die Länder dadurch ihre individuellen Eigenheiten oder ihre kulturelle Identität verlieren. Denn die Europäische Union ist nicht ein "Schmelztiegel" der Nationen sondern sie beruht auf der Idee der Einheit in Vielfalt. Und diese Vielfalt wird mit der Erweiterung weiter wachsen.

"mit einer Stimme zu sprechen"

Ein Europa, dass aus seinen unterschiedlichen Kulturen lebt und uns alle bereichert, das können Sie auch hier und heute erleben: Ein schöner Ausdruck hierfür ist die Vielfalt der europäischen Küche. Bei der Auswahl der Ihnen heute gereichten Häppchen wurde versucht, dieser kulinarischen Dimension Rechnung zu tragen. Die Weine und Biere, die Ihnen angeboten werden, stammen alle aus den Beitrittsländern – vielleicht für den einen oder anderen unter uns ein Anlass zu einer kulinarischen Rundreise durch die neuen Mitgliedstaaten der EU.

unterschiedlichen Kulturen

Verehrte Gäste,

Deutschland als der Staat mit den meisten Nachbarn in Europa hat ein ganz besonderes Interesse an der EU-Erweiterung: Als Nachbar der Beitrittsländer Polen und Tschechische Republik rückt Deutschland mit der EU-Erweiterung heraus aus seiner Grenzlage und ist nunmehr - mit Ausnahme der Schweiz - nur noch von EU-Mitgliedstaaten umgeben. Wir sind von Freunden "umzingelt" – und sind sehr dankbar dafür.

 
Von der EU-Erweiterung profitieren die Menschen in Deutschland aber auch ganz unmittelbar: In einigen Jahren, wenn die Beitrittsländer auch zum Schengen-Raum gehören, werden die Beziehungen über diese Grenzen hinweg genauso selbstverständlich und unkompliziert sein, wie dies jetzt schon z. B. an der deutsch-niederländischen oder deutsch-französischen Grenze der Fall ist. Dort werden seit 1995 keine Pässe mehr kontrolliert und den Menschen ist dieser Zustand schon völlig zur Gewohnheit geworden. Wie schnell gewöhnen wir uns an das Erfreuliche! Und wir freuen uns, daß diese Gewohnheit bald auf die Beitrittsländer ausgedehnt wird.  
Beitrittsländer und Mitgliedstaaten haben bis zum Schluss hart, aber fair über die Beitrittsbedingungen verhandelt: Sie haben dabei ein sehr gutes Ergebnis erzielt, das den Interessen aller gerecht wird. Wir haben alle gewonnen. Nun werden alle Beteiligten - Deutschland, die anderen Mitgliedstaaten und die neu Dazukommenden - vom EU-Beitritt nicht nur in finanzieller oder wirtschaftlicher Hinsicht profitieren, für jeden einzelnen werden positive Auswirkungen unmittelbar spürbar sein.

Beitrittsverhandlungen
hatten kaum Öffentlichkeit

Die Erweiterung der EU bietet uns allen vielfältige Chancen. Nutzen müssen wir diese Chancen selber – mit Mut, Kreativität und dem Willen zur Zusammenarbeit. Nur so kann aus dem Zusammenwachsen des westlichen und östlichen Teiles von Europa ein Prozess werden, der alle Menschen erfasst und zum Wohl aller beiträgt.

Mit der bevorstehenden Beitrittsrunde ist der Erweiterungsprozess zur Europäischen Union noch nicht abgeschlossen: Wir unterstützen Bulgarien und Rumänien in ihrem Ziel, 2007 für einen Beitritt zur EU bereit zu sein, die Türkei hat bereits den Status eines Beitrittskandidaten und Kroatien hat im Februar diesen Jahres einen Beitrittsantrag gestellt. Die Tür bleibt offen!

 
Die Staats- und Regierungschefs von heutigen und zukünftigen Mitgliedstaaten haben es in Kopenhagen gemeinsam deutlich gemacht: Unser gemeinsamer Wunsch ist es, Europa zu einem Kontinent der Demokratie, der Freiheit, des Friedens, des Rechts und des Fortschritts zu machen. Dabei werden wir weiterhin entschlossen sein, neue Trennlinien in Europa zu vermeiden und Stabilität und Wohlstand innerhalb der neuen Grenzen der Union und darüber hinaus zu fördern. Wir freuen uns auf enge Zusammenarbeit in unserem gemeinsamen Bestreben, dieses Ziel zu erreichen.

Unser Ziel ist das Eine Europa.

erschienen: 16.04.2003

weitere Informationen und Links unter:

http://www.auswaertiges-amt.de/... 

 
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