Halbwertzeit extremistischer Wahrheit Beitrag 28.05.2006

Die Gnade, zu der ich im Menschlichen solchen Revoluzzern - welcher Richtung auch immer - gegenüber anrate, begründet sich mit der meist recht kurzen und überstehbaren Halbwertzeit ihrer Wahrheit.

Ein wichtiger Liedermacher brachte es Anfang der Siebziger auf die Bühne: "Es ist besser, ein Kaufhaus anzuzünden, als sich selber anzuzünden."

Ein Bekannter, der in meinen politischen Jahren Guru der Autonomen war, kam damals mit dem Spruch ins TV: "Holt aus den Aldis, was Euch gehört" und meinte "Alles und we want it now".
Derselbe: "Mit wem ich Tee trinken kann (oder Joint drehe), mit dem kann ich auch Mollis bauen" - im Audimax war ein Gaudi, als wollte man sich kollektiv überschlagen und habe die Welt erobert.

Auch "Macht kaputt, was Euch kaputt macht" hat Generationen von kurzen Revoluzzer-Karrieren auf dem Buckel, die fast sämtlich nichts mehr davon wissen wollen, dass sie "die Leute sein wollten, vor denen die Eltern immer gewarnt hatten".

Von Zeit zu Zeit begegne ich solchen. Verfettet von Buffets, das Amt in der Tasche und zehn davon in Reserve. Mit "anderen" Sprüchen. Aber sie sind so anders nicht, wie sie glauben.

Ihr Geschwalle und Gebrenne war nur Egotrip, Schaden, aber änderte nichts, auch sie selbst nicht, so sehr sie von Veränderung sprachen und heute von Reformen.

Die Opferbereitschaft war allenfalls Identitätskrise, weil das Ding Persönlichkeit noch in Entwicklung war, selbst nichts darstellend, stattdessen die Armen und Enterbten "vertretend", ohne sie jemals zu fragen, denn die Antworten gefallen den Revoluzzern nicht, sondern sind dann nur noch "Bewusstsein der Herrschenden", weil es so irgendwo steht und nicht hinterfragt die eigene Dialektik vergisst.

Die Opferbereitschaft, das "Sich-Ändern" samt "Weltrevolution" ist Forderung vor allem an andere. Darin schwimmt dann mancher ein Stück weit mit, verschafft und bekommt vielleicht Blessuren. Aber nichts ändert sich so zum Guten, denn das Gute war den Strolchen noch nie Kategorie, sondern im ausschließlichen Verdacht, Lüge zu sein und Drehmoment für das Schlechte.

Kein Huhn ist so dumm wie der Krawaller, gegen den der Kirchenreformator und dennoch nur Halbgeist Martin Luther schrieb, man möge den Mob zur Hölle jagen, aber den Unrat im Menschen wird man nicht los, indem man den Menschen zum Unrat erklärt, sondern sich ihm stellt, ihn hindert, aufklärt, Gesetze und Strukturen schafft für den Fortschritt, der aus unzähligen, oft kleinsten Schritten ist.

Das ist das mühsame Geschäft und nichts für faule Revoluzzer mit ihrer kurzen Halbwertzeit.
Das ist das riskante Geschäft, wenn man damit zu alleine ist, denn es stellt einen zwischen die Fronten von Leuten, denen das Leben anderer zu wenig wert ist.

Grüße von Sven          >> DISKUSSION  
  
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