Anonymous
hat folgendes geschrieben:
Aber mein Niveau ist es nicht, mit
Schimpfwörtern aufzufahren oder mich über deine Eltern auszulassen, wo
mich sachliche Argumenation viel mehr interessiert. |
Den einfachsten Dingen weichst Du aus:
1. Je konkreter, desto sachlicher.
2. Was im Kleinen nicht stimmt, stimmt zumeist auch im Großen nicht.
Du möchtest über "Schuldkomplexe" eines ganzen Volkes sprechen, aber
magst die Lupe nicht. Darum bleibt es Geschwafel, während ich Dir am laufenden
Bande Beispiele nennen kann, wann mir etwas unangenehm ist und was es dann an
weiteren Reaktionen auslöst. Wenn ich z.B. meine Mutter fragte, wie sie auf
Judendeportationen reagiert hat, und sie dann Schuldgefühle einräumt, nicht
nachgefragt zu haben, als die jüdische Mitschülerin zunächst in die letzte
Reihe verbannt wurde und irgendwann gar nicht mehr kam.
Meine Mutter war über sich selbst erschüttert, dass sie bis zu meiner Frage
nie mehr daran gedacht hatte, so sehr auch sie sich nach dem Krieg mit dem NS
kritisch auseinanderzusetzen gewillt und gewohnt war.
Genau das war/ist eine weitverbreitete Methode der
"Geschichtsaufarbeitung": Abstrakt von persönlicher Verantwortung,
aus Enttäuschung über eigenes Versagen.
Je nach Auffassung, je nach Charakter und eigenen Ansprüchen kann das tatsächlich
traumatisieren.
Aber machen wir uns nichts vor, denn den meisten Deutschen war es ein im
Wortsinn "verschwindend kleines Trauma", denn bald hatten viele
Deutsche Trauer in eigener Sache, Überlebensprobleme, dann das
Wirtschaftswunder und die rasche Integration der beiden deutschen
Staaten/Gesellschaften in die Allianzen der ehemaligen Siegermächte. All das
machte die Verdrängung leicht und verschob "die Fragen" in die nächste
Generation, wenn die mutig genug war, sie zu stellen. Und warst Du so mutig,
Deine Oma zu fragen?
Oder auch: Dass ich froh war, dass der Reichtum meiner Familie kein Geraubter,
sondern Ergebnis erfolgreicher Familien war. Das war und ist mir wichtig. Leute
wie Haider haben es da mit der Ahnen-Vita schwerer und tendieren deshalb zur
"Geschichtslosigkeit" = zum Vergessen und Leugnen.
Und mir war/ist das so sehr wichtig, dass ich sogar auch darüber froh bin, dass
meine Familie viele Angehörige und Reichtum im Krieg verlor, denn psychologisch
ist es bei mir so, dass "eigene Verluste" die Verluste anderer
Menschen ein Stück weit "aufwiegen", obwohl das objektiv nicht der
Fall sein muss, aber das Vergeltungs-/Racheprinzip gewinnt immer in den Köpfen,
sobald Schadensersatz nicht genügt oder auch gar nicht möglich ist.
Viele Deutsche machen sich solche konkreten Gedanken nicht oder sprechen sie
nicht aus. Zurecht genießen wir das Leben, denn wir haben nur eines davon. Und
was daran nicht "zurecht" ist, hätte heute wohl eher andere Gründe.
Statt konkreter Gedanken in eigener Sache, der Sache der eigenen Vorfahren,
bauen wir Gedenkstätten und veranstalten regelmäßige Gedenkfeiern, sprechen
allgemeine Entschuldigungen aus.
All das darf sein, wenn jemand zu schwach im Umgang mit dem eigenen Sein ist,
aber im Abstrakten kann sich der Sinn verkehren, weil einige dann nur noch den
Ritus sehen und nicht mehr die Ursachen, die persönliche Mitverantwortung, denn
von der abgesehen wird das Abstrakte unglaubwürdig und provoziert letztlich
auch die Ablehnung, wie Du sie empfindest.
Aber das ist dann auch Deine Verantwortung, Deine Schuld, mit der historischen
Schuld einerseits und andererseits dem zwangsläufig unzureichendem Umgang damit
falsche Schlüsse zu ziehen.
Noch ein Beispiel: Einer der mir persönlich peinlichsten Erfahrungen war, als
ich in Warschau laut unterhaltend und lachend ein Gebäude betrat und dann
merkte, dass dort des Warschauer Aufstandes gedacht wurde. Ich war erschrocken,
"wie deutsch" meine Stimme gehallt hatte, denn in deutscher Sprache
war die Gewalt gegen Menschen, für die hier getrauert wurde. Es war keine böse
Absicht, sondern nur Unaufmerksamkeit für den nächsten Ort auf dem umfänglichen
Tourprogramm meiner polnischen Freunde. - Du hältst es möglicherweise für unnötig,
dass es mir peinlich war. Es ist aber nötig, dass der Elefant im Porzellanladen
mehr aufpassen muss als im Wald.
Anonymous
hat folgendes geschrieben:
Die Schuldfrage wird dann auch bei
gerichtlicher Scheidung juristisch zu klären sein, ...
|
Das spielt im Scheidungsrecht keine Rolle mehr.
Anonymous
hat folgendes geschrieben:
alle rechtlichen Konsequenzen hängen
von dieser Schuldfrage ab. Der Maßstab bei der Klärung der Schuld wären
unsere Moralvorstellungen (z. B. von der Verantwortung von Eheleuten,
sexueller Treue usw.) ...
|
Kompletter Unfug, und ich habe nicht die Zeit, Dir eine BGB-Vorlesung zu
veranstalten. Der Hinweis auf häufig bei Scheidungskindern anzutreffenden
Schuldkomplexe sollte Dir nur anschauliches Beispiel für die Fallgruppe des
Schuldgefühls Unschuldiger sein.
Anonymous
hat folgendes geschrieben:
und Moralvorstellungen finden
intrapsychisch ihr Korellat in dem, was Freud als "Über-Ich"
bezeichnet hat. |
Du brauchst mir nicht Freud zu erklären und auch nicht die Erbsünde, zumal sie
mit der Bibel allenfalls weitere Verbreitung fand, ihre Entstehung aber in
allgemeineren Reflexen haben dürfte, wie schon oben für die Ursachen von
Vergeltung/Rache beschrieben, wann immer der Schadensersatz nicht genügt, unmöglich
ist oder es Abschreckung braucht.
Die Frage ist eher, was Du aus solch Vortrag schlussfolgerst, was Dir mit Schuld
und Schuldgefühlen passiert oder passieren soll. Ob Dir das Ei in dem Moment
aus der Hand fällt und verschwindet, in dem Du kapierst, dass es ein Ei ist.
Dazu schreibst Du:
Anonymous
hat folgendes geschrieben:
Die einzig wirklich adäquate
Form, der Schuld zu begegnen ist die Wiedergutmachung.
|
Wenn Du versehentlich ein fremdes Auto schrammst, kann das genügen, für viele
Fälle genügt es als Schlussfolgerung nicht. Darum kann es Punkte in Flensburg
geben, ...
Anonymous
hat folgendes geschrieben:
..., bleibt die Schuld weiter am
einzelnen Menschen kleben und veranlasst ihn zu geeigneten
Abwehrmechanismen, ... |
Du Armer:-), die Frage wäre aber nicht nur, ob Abwehr "geeignet" ist,
sondern ob sie rechtens ist. Mit konkreten Fallbeispielen kämst Du erkenntnismäßig
weiter, während mir scheint, dass Du von den Thesen der Freud, Nietzsche und
Theologen nur verwirrter wirst.
Anonymous
hat folgendes geschrieben:
..., so er nicht an der Schuld
zugrunde gehen will.
|
Kennst Du Beispiele für Deine suizidale Untergangsthese? Du tust
traumatisierter als jene, denen Du unterstellst, sie würden an Schuldkomplexen
zugrunde gehen. Meine Erfahrungen mit mir, Familie, Gesellschaft, auch mit
Verbrechern, sind vollkommen andere: Viele gehen an Schulden zugrunde, aber nur
wenige an Schuldgefühlen - und weder das eine noch das andere ist verlangt.
Anonymous
hat folgendes geschrieben:
Wenn sich Papa und Mama in Saudi
Arabien ... |
Niemand schickt Dich dorthin:-) und es ist wenig wahrscheinlich, dass Du mit dem
Versuch einer saudischen Perspektive Deinen unzulänglichen Wertekanon aufhellen
wirst.
Anonymous
hat folgendes geschrieben:
Selbstverständlich finden wir
Schuld und Scham als normale menschliche Gefühle in allen Kulturkreisen. |
So ist es.
Anonymous
hat folgendes geschrieben:
Die Frage ist aber, inwieweit
solche negative Emotionen für eine Zivilisation auf breiter Ebene
handlungsbestimmend sind. |
Solange Dir Schuldgefühle nur "negative Emotionen" sind, dann
vermeide sie ruhig, denn dann taugen sie zu nichts. Du bist echt falsch gepolt:-)
Dafür kann ich aber nüscht.
Sobald Schuldgefühle einen rationalen Grund haben (also nicht das Beispiel mit
dem Scheidungskind) taugen sie auch für die rationale Handlungsbestimmung. Das
entspricht meinen weltweiten Erfahrungen mit allen Kulturkreisen, denen ich
begegnete. Die Ausnahmen allerdings waren ebenfalls weltweit, nämlich als
Verletzung postulierter Werte.
Anonymous
hat folgendes geschrieben:
Frag Muslime, was der zentrale Wert für
sie ist und die wirst vom überwiegenden Teil die Ehre genannt bekommen. |
Frage mich! Ich bin kein Muslim, aber trotzdem kann meine Antwort nach dem mir höchsten
Wert "Ehre" lauten, denn was sollte mir Deines Erachtens höher sein
als der Anspruch, meinen Ansprüchen zu genügen?
Andere Werte wie Gesundheit, Reichtum, Ansehen usw. sind mir eher anders verknüpft,
haben mit Glück zu tun, mit dem Silberlöffel, mit Kuschen, mit Ideen,
Intelligenz, woran man arbeiten, aber auch Pech haben kann, aber die Ehre ist
aus ganz anderem Stoff: Sich selbst gegenüber zu bestehen, durch Aufrichtigkeit
sich selbst, die Selbstkritik auszuhalten, ihr gerechter zu werden.
Also mein Rat: Wenn Du ein Ausrufezeichen setzen möchtest oder ein
Ausrufezeichen vermutest, dann mache doch mal gedanklich ein Fragezeichen
stattdessen, damit Du die Gegenargumente erahnst, über die Du sonst nur
spekulierst, ohne sie auch nur irgendwie zu kennen.
Das ist eine meiner Methoden. Das mache ich mit den mir liebsten Autoren so,
z.B. mit Martin, freue mich an seinen Artikeln, aber bei besonders und auf
Anhieb gefallenden Aussagen setze ich ihnen immer die Fragezeichen. Oft gefallen
sie mir anschließend sogar noch besser. Oder Nebensätze werden wichtig. Oder
ich erweitere sie mir und manchmal auch hier.
Sven20090103 >> Diskussion
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