Kultur: "Körperwelten" und Skandal-Moral [ Antwort schreiben ] |
Screenshot: www.koerperwelten.com/de/pages/koerperspende.asp 29.01.2004 |
von Sven Redaktion am 29.Jan.2004 14:15DAS RECHT AN DER EIGENEN LEICHE UND DIE ÖFFENTLICHE SKANDAL-MORAL Mein Empfinden gegenüber der KÖRPERWELTEN-Ausstellung Gunther von Hagens war so sehr durch Unsicherheit in der moralischen Beurteilung geprägt, dass auch durch den kostenlosen Presse-Eintritt keine Vergewisserung zu erwarten war. Die Sorge um die Lebenden ist ohnehin wichtiger als die Sorge um die Toten, weshalb mir Friedensthemen in den Vordergrund gehören. Aber die Interessen dürfen verschieden sein und zahlreiche Freunde besuchten die Ausstellung: "Hochinteressant", so lautete durchweg die Reaktion. Also fasziniert von der technischen Fertigkeit, mit der die Innereien von Menschen präsentiert werden. Wesentlich für die moralische Beurteilung kann jedoch nicht die "hohe Fertigkeit" sein, wie auch perfideste Waffensysteme von "hoher Fertigkeit" sind und damit nur die Perversion im Verhältnis von Können und Verantwortung steigern. Dieser Vergleich soll nicht als Verurteilung der KÖRPERWELTEN dienen, sondern nur die erforderliche Distanz gegenüber "hohen Fertigkeiten" schaffen. Wichtig für die moralische Beurteilung durch die sicherlich große Mehrheit der Öffentlichkeit dürfte sein, dass die ausgestellten Präparate mit erklärtem Willen der Verstorbenen in dieser Weise publiziert werden. Und auf dieses Werbeargument stellte von Hagens auch ständig ab, indem er die Freiwilligkeit der Plastinierten in den Vordergrund rückte (siehe Screenshot). Dieser Werbung stehen jedoch Presseberichte entgegen und damit verliert von Hagens einen erheblichen Teil seiner Glaubwürdigkeit. Dennoch: Wer sich mit Gerichtsmedizin, Pathologie und Archäologie beschäftigt, dem wird bewusst, dass die Empörung gegenüber von Hagens zweierlei Maß spiegelt, denn zumindest für die ausgebuddelten Pharaonen dürfte unzweifelhaft sein, dass sie NICHT aus ihren aufwendigen Grabstätten geholt werden wollten. Weltweit buddeln die Archäologen, "stören die Totenruhe" und vermelden "sensationelle Funde", während man die Sensationalität des Plastinationsverfahrens in moralische Abgründe schiebt. Auch der Tonfall des SPIEGEL ist unpassend, wenn er vor einer Woche im Stil einer BILD-Zeitung titelte: "Dr.Tod", denn allenfalls "Dr.Leiche" wäre angebracht, solange man davon ausgehen kann, dass von Hagens niemandem das Leben nahm. - Solche Unterschiede sind gravierend, wenn sich jemand auf die Kanzel des Moralpredigers stellt. KÖRPERWELTEN ist ein Skandal, weil die Werbung mit der "Freiwilligkeit" offenbar irreführend war, aber der wirtschaftliche Erfolg dieser Ausstellung ist weniger Skandal als vielmehr normal, denn beispielsweise die durch Gesetze bloß ins Ausland verlagerte Stammzellen-Gewinnung und der indirekte Handel mit Organen von Unfallopfern ist nicht minder problematisch, also ohne ausreichende moralische Beurteilung. - MORALISCH bei unentschiedenen Frage wäre allein und stets das Moratorium, also abzuwarten, bis man sich der Wirkung bzw. des moralischen Urteils sicher ist. Wenn jetzt aber von Hagens nach dessen Vermarktung durch Talkshows zum "Dr.Tod" gemacht wird, dann ist solche Empörung nur der "Teil 2" einer Event-Vermarktungskette mit umgekehrtem Vorzeichen, wobei das Vorzeichen für die Moral solcher Kritiker selbst eindeutig Minus ist. Sven 28. Januar 2004 |