Menschenwürde und Strafe

Jun 2012, 18:17

Edgar1 hat geschrieben: Gibt es einen ethisch "richtigen" Umgang mit Straftätern (z.B. Gewaltverbrecher)?
"Ethisch richtig" ist vorab, was dem Straftäter die Menschenwürde unangetastet lässt, denn Art.1 GG wird zutreffend so ausgelegt, dass zwischen wohltätigen und gewaltverbrecherischen Menschen hinsichtlich der Menschenwürde nicht unterschieden wird.
"Ethisch falsch" und hierzulande verboten sind deshalb physische und psychische Misshandlung von Strafgefangenen.

Die Begriffe Menschenwürde und Würde können so unterscheiden werden, dass die Menschenwürde jedem Menschen eigen ist (= allgemeiner Anspruch auf körperliche und seelische Unversehrtheit) , während die Würde den Grad seiner Verdienste und gesellschaftlichen Anerkennung beschreibt. Wer Straftaten begeht, verdirbt es sich nicht nur mit der gesellschaftlichen Anerkennung, sondern wird bestraft, sei es durch Geldstrafe, Freiheitsstrafe oder durch Auflagen, die ihm auch Grundrechte beschränken.

Edgar1 hat geschrieben: Kann man es ethisch begründen, dass ein Täter nach einer Straftat noch seine Würde & Rechte besitzen soll?
Das begründet sich aus dem Gerechtigkeitsprinzip, denn dürfte den Straftätern "Würde & Rechte" verweigert werden, wäre die Gerechtigkeit insgesamt futsch. Auch wer "drakonisch bestrafen" möchte, käme also nicht umhin, immer nach der Verhältnismäßigkeit zu fragen, eben nach Würde & Rechten des Straftäters. Sonst wäre ein Willkür-Regime und kein Rechtsstaat.

Die anschließend relevante Frage lautet, wie weit die Strafe gehen darf, z.B. in den vermeintlich "eindeutigen und schlimmsten Fällen":
Dürfte die Strafe entgegen Art.1 GG nicht nur Freiheitsstrafe sein, sondern darüber hinaus auch Körper und Seele verletzen, z.B. der These folgend, dass Gleiches mit Gleichem zu vergelten sei, so müsste sich die Gesellschaft durch berufsmäßige Gewalttäter, Vergewaltiger und psychische Peiniger vertreten lassen.
Das Ansehen von Folterknechten und Henkern ist allemal schlecht, weil die Gesellschaften, die sich ihrer bedienen, zumindest ahnen, welches "Dreckspack" sie für sich arbeiten lassen.
Die gesellschaftliche Scheu vor solch eigenem Personal ist Doppelmoral, wie die Massenspektakel anlässlich von öffentlichen Geißelungen oder Hinrichtungen davon zeugen, dass viele Menschen ihre Sensationslust und Rachegelüste nicht kritisch bzw. moralisch hinterfragen.
Das "Dreckspack" in jeder Gesellschaft kümmert solch Widerspruch nicht. Ist das "Dreckspack" an der Macht, werden solche Regimes zurecht als "primitiv" angesehen und sind durch zahlreiche Erklärungen der Vereinten Nationen aufgefordert, sich menschenrechtlich zu reformieren.

Edgar1 hat geschrieben: Wie sollte man ethisch mit einem Opfer/ einem Hinterbliebenen umgehen?
Es gibt zahlreiche Fälle, in denen unsere Gesellschaft versagt, aber häufig kommt sie dieser Aufgabe vielfältig nach:
1. Indem die Gesellschaft die Strafverfolgung übernimmt und adäquat bestraft.
2. Durch rechtliches Gehör im Strafprozess und Nebenklage, denn mitunter kann Schadensersatz helfen.
3. Durch psychologische Betreuung, mitunter auch durch finanzielle Hilfen.

Edgar1 hat geschrieben: Gibt es ethische Gründe auf welchem der beiden (Opfer oder Täter) der "Fokus" ( z.B. psychische Behandlung) liegen sollte?
Selbstverständlich ja, zumal in allen Fällen grundrechtlich und gesetzlich geboten, in denen die Psyche den Menschen Probleme beschert und Abhilfe möglich scheint. Aber nicht jede Straftat ist Ausdruck psychischer Defekte, sondern charakterlicher Natur, dass jemand weiß, was er anrichtet und tut es trotzdem in bloßer Erwartung, nicht erwischt zu werden und der Strafe zu entgehen.
Und nicht jedes Opfer muss zum Pflegefall der Gesellschaft werden, denn Kriminalität gehört wie Unfälle und Katastrophen zum allgemeinen Lebensrisiko. Die Gesellschaft steht mal mehr, mal weniger in der Pflicht im Rahmen ihrer Möglichkeiten, der Einzelne jedoch ebenfalls.

Edgar1 hat geschrieben: Gibt es bei diesen Fragen jeweils Unterschiede in Moral und Ethik?
Hmm:-) Um die Moral vieler Leute kann es "beschissen" stehen, wodurch sie sich dann als Untersuchungsgegenstand der Ethik
aufdrängt.

Edgar1 hat geschrieben: Ich würde mich über jede Antwort/jeden Denkanstoß freuen und bedanke mich im Voraus.
Darin erschöpft sich der Sinn dieses Forums nicht, denn eigentlich sollten Deine Fragen auch Dir Denkanstöße auslösen, über die dann diskutiert wird. Deshalb heißt dieses Unterforum "Ethik-Baustelle" - und da arbeiten wir gemeinsam, freuen uns weniger, wenn da jemand ruft: "Macht mal!" - Und das gesamte Forum heißt "Diskussionen.de", nicht etwa "Fragt uns! Wir antworten."
Der Wohlstand unserer Gesellschaft ist den Fleißigen geschuldet.
- Wer in welchem Umfang am Wohlstand partizipiert, ist eine Daseinsfrage, oft aber auch eine Charakterfrage,
- wer in welchem Umfang am Wohlstand partizipieren soll, ist eine Ethikfrage,
- wer in welchem Umfang am Wohlstand partizipieren darf und kann, ist eine politische Frage.

Schönen Sonntag wünschend!

Markus Rabanus 20120617    Ethik-Forum

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