Aufforderung

Berichten auch Sie von Ihren verletzten Nationalgefühlen  und  von Ihren Lernprozessen. Kaum jemand unserer Generation kann so tun, als habe er nie Gedanken gehabt, die heute Jugendliche zum Rechtsextremismus verleiten.
Und wir bitten auch Jugendliche um Berichte, damit der Dialog nicht zwischen "mittelalt" und jung verloren ist. Niemand braucht seinen Namen zu nennen oder zu fürchten, dass wir unsauber mit Daten umgehen. Aber der ehrliche Dialog muss stattfinden, damit statt politisch verbogenen Kampagnen die Vielfalt der Beweggründe auf den Tisch kommt. 

Ehrliches Erinnern an eigene Gefühlsduseleien

ein Autor von  www. nazis .de

Im Alter von 13 Jahren las ich das Buch "Mein Kampf" von Adolf Hitler, übersprang zwar viele Seiten, weil sich zu arg wiederholte, aber war trotzdem "beeindruckt":
  1. Das Deutschland, das Hitler beschrieb, erschien ungerecht benachteiligt.  Engländer, Franzosen, Spanier und Portugiesen hatten in Afrika und überall Kolonien, während Deutschland nach dem "Versailler Diktat" auf solche  Besitzungen verzichten sollte. Die Welt schien schlecht verteilt.
  2. Wie Hitler war auch ich nicht zufrieden mit dem Ergebnis des 1.Weltkrieges. Deutschland hatte viel Land an die Sieger abgeben müssen und erschien mir jetzt zu klein.   Hitler verlangte für die Deutschen "Lebensraum" im Osten und ein Blick in den Schulatlas genügte, um festzustellen, dass die Sowjetunion wirklich mächtig viel Land hatte.
    Und der Schulatlas meiner Jahre zeigte noch viel schlimmere Zustände: Da waren infolge des 2. Weltkrieges noch weitere Gebiete Deutschlands verloren und standen "Unter polnischer Besetzung" und "Unter sowjetischer Besetzung".   Wie konnte es sein, dass so lange nach dem 2.Weltkrieg noch immer deutsche Gebiete besetzt gehalten wurden?  Die Schule kam erst Jahre später auf dieses Thema, als in der Bundesrepublik Deutschland endlich der politische Wind in Richtung auf Verständigung mit dem Osten gedreht hatte.
  3. Und auch "die Juden" erschienen mir suspekt. Ich kannte zwar keinen einzigen, aber was Hitler über die Juden schrieb, schmeichelte diesen Leuten wahrhaftig nicht und man konnte nur gegen sie sein.
  4. Anfang der siebziger Jahre kamen viele Italiener und Türken in meine Stadt. Im Jugendzentrum gab es häufig Streit mit ihnen. Und wir nannten sie Kanaken. Ein Blick genügte und es "ging zur Sache".

Glücklicherweise waren meine Gedanken meinen Eltern nicht gleichgültig:

  1. Die "Ungerechtigkeit" in Sachen Kolonien bestand nicht darin, dass Deutschland keine mehr hatte, sondern dass es überhaupt Kolonien gab, dass die dortigen Völker mittels  europäischer Waffengewalt unterjocht, ausgeplündert und versklavt wurden.
  2. In Sachen 1.Weltkrieg war zu lernen, dass Deutschland aus nichtigem Anlass begeistert in den Krieg zog. Eroberungen wandelten sich in Niederlagen. Und wer sich darüber wundert, dass Kriege "unfair" enden, der hat das Wesen des Krieges nicht verstanden. 
  3. Und "die Juden"?  Sie wurden mir plötzlich zu Deutschen, die normale Schulkameraden, Arbeitskollegen, Nachbarn und Ehepartner waren, bevor die Verfolgung durch die Nazis begann.
    Mir wurde berichtet, dass die Nazis größten Aufwand trieben, um überhaupt aus normalen Deutschen "die Juden" zu machen:  durch die Pflicht zum Anlegen von "Ahnennachweisen" und durch eine verlogene und grässliche Verleumdungspropaganda.
    Natürlich gab es zwischen deutschen Juden und deutschen Nichtjuden Unterschiede, denn die Juden haben ihre eigene Religion und eigenen Bräuche. Aber ich erinnere mich nur zu gut, wie noch bis in die sechziger Jahre hinein  auch "Misch-Ehen" zwischen Katholiken und Protestanten eher "ungewöhnlich" waren. So durfte meine Patentante ihren katholischen Mann nur heiraten, wenn sie zuvor zum Katholizismus wechselte.
    Die Juden in Hitlers "Mein Kampf" entsprachen eben Hitlers Judenbild und das hatte mit der Realität so wenig zu schaffen, wie die Deutschen eine "Herrenrasse" sind, so gut diese Wahnsinnsidee einigen auch gefallen mag.
  4. Über die Italiener und Türken ließen mich meine Eltern eigene Erfahrungen sammeln. Ich sollte nur darauf achten, dass ich nicht voreilig urteile, sondern mit diesen "Feinden" rede. Das leuchtete ein. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten setzte sich meine Neugier durch: Türken und Italiener wurden mir Freunde wie Deutsche.  Nun stand ich etwas häufiger zwischen den Fronten, aber das war ein Image, an das man sich gut gewöhnen kann.
    Es war für mich auch nicht schlimm, als mich mein Erdkundelehrer einen "Vaterlandsverräter" nannte, nur weil ich im Heimatkunde-Unterricht  darauf hinwies, dass  "Bernsteine-Sammeln in Ostpreußen" nicht geht, weil uns Ostpreußen nicht mehr gehört.  So war das damals in der Schule   und  ist noch keine 30 Jahre her.

"Nicht mit den Wölfen heulen", sondern allen "Wölfen" den Menschen als überlegen denkendes Wesen vorführen - das machte Spaß.
Dass die wirklichen Wölfe in ihrem Sozialverhalten oft viel "menschlicher" sind als die Menschen, muss hier auch gesagt werden, denn immer wieder in der Menschheitsgeschichte und jeden Tag heute zeigt sich der Mensch von seiner "unmenschlichen Seite".

"Mein Kampf" von Adolf Hitler hatte mich beeindruckt. Aber was wäre aus mir entschlossenem Kerlchen geworden, wenn nicht meine Eltern ein paar vernünftige Worte mitgeredet hätten? 

Ich möchte, dass Kinder und Jugendliche rechtzeitig die Erklärungen bekommen, die sie davon abhalten, Dinge zu tun, die sie später bereuen müssten.

Seit Anfang der achtziger Jahre gibt es auf  mein Umfeld und mich immer wieder rechtsextremistische Angriffe.  Es wurde geschossen, Scheiben eingeworfen, Telefonterror, E-Mail-Kampagnen usw. - immer nachts.
Es wurde oft großer Schaden angerichtet. Aber jedes Mal, wenn wir einen "erwischten" und er uns kennenlernen musste, weil uns Gerichtsprozesse nie genügten, war es schnell vorbei mit dem zerstörerischen Hass:  normale Jugendliche, die ihre "Feinde" glaubten, zu kennen. 
Sie wollten etwas "für Deutschland tun - zu allem bereit aus Vaterlandsliebe", aber der gefährliche Irrtum verleitete sie zum Gegenteil.  - 

Heute bemühen wir uns etwas mehr als früher, den Dialog mit Rechtsextremisten so zu führen, dass sie nicht unnötig zu Dummheiten provoziert werden, zu denen es nicht käme, wenn sie unsere Adresse nicht kennen würden.
Das ist schwierig  und einen Dialog ohne Risiken gibt es nicht. Aber wer die Risiken nicht in Kauf nimmt, der setzt andere diesem Risiko aus. Und überlässt die Rechtsradikalen sich selbst.

 

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