Organspende und Gegenseitigkeit
Verfasst:
Mo 27. Jun 2011, 12:56
von Markus Rabanus
Es ist noch genug Zeit, um auf die
Organspende-Gesetzgebung Einfluss zu nehmen, denn der Bundestag wird erst nach
der Sommerpause ernsthafter in die Debatte gehen, auf welche Weise die Bundesbürger
für Organspenden mobilisiert werden können.
In der Debatte ist, ob eine Organentnahme schon immer dann zulässig sein soll,
wenn der Betreffende nicht ausdrücklich widersprochen hat ("Widerspruchslösung",
wie es sie z.B. in Österreich gibt)
oder nur dann, wenn der Betreffende irgendwann ausdrücklich zugestimmt hat
("Entscheidungslösung"), wozu sichergestellt werden müsse, dass
jeder mit dieser Frage konfrontiert werde.
Unionsfraktionschef Volker Kauder befürwortet die allgemein gefälligere
"Entscheidungslösung". Wie es die Spendenaufrufer und
Transplantationsakteure in eigenen Angelegenheiten bzw. Organen halten, wäre
interessant, denn bloßer Lobbyismus wäre unschön, zumal
Organtransplantationen allemal ein Riesengeschäft für die
Gesundheitswirtschaft sind, was zwar nicht vorrangig in die Debatte muss, aber
gesehen und als ein prinzipielles Ethikproblem dieses Fachbereichs auf der
Agenda.
Mehr als 800.000 Menschen versterben bundesweit - überwiegend mit uralten
Nieren, deren Transplantation zumindest dem medizinischen Laien fragwürdig
bliebe, was aber die daran Beteiligten im Falle des Organmangels anders sehen würden,
die Krankenhäuser aus wirtschaftlichen Gründen, die Patienten aus Gründen des
Griffs nach dem Strohhalm. Darum ist auch das ein Grund, das Aufkommen an
Organspenden zu erhöhen - und zugleich den Organhandelstourismus in die ärmeren
Teile der Welt einzudämmen.
Gegenseitigkeitsergänzung
Im Bundestag möglicherweise nicht gesehen, dass beide Ansätze um eine
"Gegenseitigkeitslösung" bei Erwachsenen zu ergänzt werden müssten,
dass Menschen, die beispielsweise bis zum 21. Lebensjahr einer Organspende
zustimmten, auf den Wartelisten vorne stehen, also auch Anreiz haben, sich mit
der Thematik zu befassen und eine Entscheidung pro Organspende zu treffen.
Und persönlich? Als Möchtegern-Gutmensch muss die Bereitschaft zur Organspende
sein, aber es ist auch eine Frage des politischen Systems, ob Gerechtigkeit
eingepflegt oder verpasst wird, dass eben die vielen Strolche, denen die
Begriffe "Gutmensch", "Weltverbesserer", "Tugendwächter"
zu Schimpfworten pervertieren, sich sozial zu disziplinieren haben, ehe sie ihre
Grapscher nach den Nieren derer ausstrecken, für die sie in gesünderen Zeit
bloß Hohn und Schlimmeres vorhielten.
Wer die Spekulation darauf zulässt, dass es ausreichend "Gutmenschen"
gebe, um auch die Egoisten mitzuversorgen, ist für den Egoismus ein Stück weit
mitverantwortlich.
Die Gegenseitigkeitslösung wäre nicht nur gerecht, sondern zugleich eine
Schulung in Sachen Ethik, dass Verantwortlichkeit aus zwei Gründen ist,
einerseits der gesellschaftlichen Entscheidung, andererseits der persönlichen
Entscheidung - und einander in ganz klarer Wechselbeziehung, wie sie in vielen
anderen Dingen (z.B. Steuerehrlichkeit oder Einkommensunersättlichkeit) für
einfach strukturierte Gemüter und/oder Charakterstrolche oft zu abstrakt und
unverbindlich bleiben.
Deshalb wäre es richtig, auf die Gegenseitigkeit zu bestehen, damit jeder
Strolch weiß, dass wenn ihm der Begriff "Organspender" (wie
"Opfer") zum Schimpfwort entgleist, er dann nicht zu denen gehört,
die durch Organspenden gleichrangig gerettet werden könnten.
Die Logik muss sein, dass wer trotz Könnens zu Spenden keine Bereitschaft hat,
auch auf Spenden keinen Anspruch auf gleiche Einreihung hat. Nur die
Selbstlosesten dürfen auf Gegenseitigkeit verzichten, aber mehr Gerechtigkeit
bringt allemal mehr als die Spekulation auf Selbstlosigkeit.
lexikalisch >> http://de.wikipedia.org/wiki/Organspende
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