Recht auf ein virtuelles Zuhause

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Facebook - oder das Recht auf ein virtuelles Zuhause

BeitragVerfasst: Do 19. Apr 2012, 11:11
von redaktion
In den vergangenen Monaten war ich viel auf Facebook unterwegs. Es Ist zweifellos "das neue Web" und attraktiv für viele unserer früheren (besseren und schlechteren) User, bevormundslos und meinen Vorstellungen entsprechend, wie das Web im Allgemeinen sein sollte: Das legitime Interesse des Users, seine Belange im Mittelpunkt zu sehen, darüber hinaus sich oder einzelne Themen mit anderen Usern in gewünschter Intensität verbandeln können.
Der kommerzielle Background von Facebook mit all der datenschutzrechtlichen Problematik ist finster, aber der Nutzwert drängt die Risiken aus dem Fokus. Das ist ein ganz ähnliches Phänomen wie mit Google-Accounts oder mit den kostenlosen Apps, die den User hinsichtlich seiner kommerziellen Verwertbarkeit ausleuchten.

Dieses Übel wäre nur dadurch zu beseitigen, dass unser oder irgendein anderer Staat, besser die UNO, eine Art Facebook für alle macht. Technisch wäre das überhaupt kein Problem. Inklusive Datenschutz, wenngleich nichts vor kommerzieller und politischer Ausschnüffelei sicher sein kann.

Vorurteile: Zunächst schien es, dass bei Facebook Politisches "nur oberflächlich" diskutiert werde. Solch Eindruck entsteht vor allem dadurch, dass Privates sichtbar ist und die Politik für jeden halbwegs normalen Menschen eben nur Nebensache ist, wenngleich mit unterschiedlich hoch eingeschätztem Stellenwert und unterschiedlich starkem Bedürfnis, sich einzumischen. Facebook macht es sehr leicht, schnell zu Usern zu finden, mit denen gemeinsame Interessen verfolgt werden können. Die inhaltliche Qualität vieler Facebook-Seiten ist enorm, kann sehr speziell sein mit Projekt-Seiten oder allgemeiner, als seien es Zeitungen, je danach, welche Leute dort mitwirken. "Facebook ist oberflächlich" - dann war jemand auf den für ihn falschen Seiten.

Bezug zum IniDia-Projekt: Kaum. Einiges dennoch, z.B. das "Zuhause" und die Vernetzung der User. Deshalb warb ich stets dafür, dass die User in ihr Profil einen Blog oder eine Webseite verlinken, um ein "eigenes Zuhause" zu haben, denn kein Mensch fühlt sich wohl, wenn er immer "nur Gast" ist, dann eben auch eher dazu neigt, ein "Einbrecher" zu werden. Solch "eigenes Zuhause" ist bei Facebook deutlich leichter zu realisieren als mit eigenen Webs oder Blogs.

Fazit: Ich bin und bleibe ein Facebook-Gegner, denn die Ausschnüffelei ist eklig, aber ich komme an der Nutzung nicht vorbei, weil die Politik versagt, dass sie den Menschen kein unkommerzielles Netzwerk anbietet.

Re: Facebook - oder das Recht auf ein virtuelles Zuhause

BeitragVerfasst: Fr 20. Apr 2012, 09:22
von martin
Der Beitrag macht Lust, mal wieder im Fratzenbuch vorbeizuschauen. Wobei mich vor allem Projekt-Seiten interessieren würden. FB als "virtuelles Zuhause", wie es in Zeiten von Smartphone mit Internet-Flat als Erweiterung des sozialen Kosmos wohl vorwiegend genutzt wird, ist für mich jedoch bis auf Weiteres vollkommen undenkbar. Der Anspruch, die Identität des Individuums als Gesamtheit seiner Vorlieben, Netzwerkbildungen, Interessen etc. via Timeline-Funktion bis in die letzten Verästelungen in die digitale Ewigkeit zu überführen, ist ein Akt bizarrer Selbstermächtigung und ist als megatotalitäre Utopie bisher noch garnicht verstanden worden. Wobei dann die plötzliche, willkürliche Löschung die Kehrseite der Medaille darstellt, worauf Sascha Lobo kürzlich aufmerksam gemacht hat ("Euer Internet ist nur geborgt").

martin

Re: Facebook - oder das Recht auf ein virtuelles Zuhause

BeitragVerfasst: Fr 20. Apr 2012, 15:43
von redaktion
@Martin, die Kolumne "Euer Internet ist nur geborgt" von Sascha Lobo ist richtig gut. Zu oft erlebten auch wir, wie "geborgt" unsere Projekte sind, z.B. unsere ersten Foren bei Forumromanum, als wir die zunehmend eklige Werbung loswerden wollten, aber die Werbefreischaltung mehr und mehr Geld gekostet hätte, je mehr Postings über die Suchmaschinen gefunden worden wären. Als wir dann die Postings abholen wollten, um mit PHPBB.com weiter zu machen, sah Forumromanum nicht ein, dass die Foreninhalte uns gehören, löschte ganze Jahrgänge "versehentlich", ...
Aber auch mit den "eigenen" Webs haben wir nur "geborgtes Interner", wenn die Provider ihre technische Vormacht zu preislichen Erpressungsversuchen ausnutzen, wie mit unserem ersten "eigenen" PHPBB-Forum geschehen, als da plötzlich allen Abreden zum Trotz die 50-MB-Grenze auftauchte, als uns die TrafficGeschwindigkeit vermindert wurde usw., weil wir zu erfolgreich waren. - Wir streiten mit dem Provider noch heute über den teuren Leistungsbetrug. Gerichtlich. Und ich habe keine wirkliche Lust dazu. Das ist das Schlimme, sonst hätten wir es längst hinter uns, denn der Betrug an uns (und sicherlich vielen anderen) ist abenteuerlich. Aber wer mag schon in allen Belangen den RobinWood spielen, während dieser Konzern ohne Übernahme jeder persönlichen Verantwortung mit formular-getexteten Lügen die Gerichte zumüllt.

Noch ein anderer Aspekt: Lobo setzte sich nie persönlich dem Problem des Diskurses mit Extremisten aus. So oft es zwar albern/müßig ist, Probleme vom Extrem/WorstCase aus zu entscheiden, aber bedacht werden muss es eben immer dann, wenn es ins Politische geht, ansonsten überrollen einen die "Restrisiken" eher.
Desweiteren wäre seiner Kolumne unsererseits hinzuzufügen, dass die Rolle als "Zuhause-Geber" ebenfalls eine Bürde ist, weshalb es kein Scherz war, wenn die Aufforderung an User erging, sich das "eigene Zuhause" zu bauen. Hätte ich aber tatsächlich eine Verlinkung geduldet, wenn sie zu einer Art rassistischem "Kampfstern Galactica" irgendeines Vollidioten geführt hätte? Drum habe ich zur Vorratsdatenspeicherung eine vom MainDiskurs abweichende Meinung.
Vor solchen Problemen stünde auch das meinerseits gewünscht "staatliche Facebook", weil es im Kern um ein Grundproblem der freiheitlichen Gesellschaft geht, die ihre Freiheitlichkeit vor Angriffen schützen darf.

Das sind freilich Problembereiche, die Lobo nicht auf dem Schirm haben muss, zumal seine Kolumne einfach mal mit gutem Recht die naive Glücklichkeit vieler (z.B.) Facebook-User kritisch beleuchtet.

Noch einmal die "Vorzüge von Facebook": Jeder kann sich ultraleicht die Meldungen von Projekten und interessanteren Personen im "eigenen Facebook" anzeigen lassen, dann auswählen, was davon die anderen sehen sollen. Ich müsste ansonsten ständig auf zu vielen Webseiten nachschauen, ob da für mich interessante Neuigkeiten sind. - Das sind technisch ganz simple Routinen. Facebook aber verschaffte den Usern diese simplen Möglichkeiten bzw. "Eigenmächtigkeiten" und eroberte damit die Massen, darunter auch viele "Eigentlich-Facebookgegner". - Für mich vor allem eine Recherche-Erleichterung.

Für ernsthaftes Webmastern kann Facebook schon aus den von Lobo genannten Gründen keine Alternative, sondern nur Ergänzung sein, zumal auch die Facebook-Formulargestaltung keine ausreichende Freiheit lässt, um einen Blog zu ersetzen.

@Martin, jetzt nicht meine Blogs anschauen:-), denn die sind schon technisch immer zu grottig. Es geht um Prinzipielleres, um die Frage der allgemeinen (und demokratischen Partizipation), wie es mit anderer Blogtechnik, z.B. www.wordpress.com leicht realisierbar ist.
Aber dummerweise (im wahrsten Sinne des Wortes) macht es Facebook den Usern so leicht, dass die Bedeutung von Blogs und Webs ziemlich gelitten hat. - Geht mir auch nicht darum, dich für FB zu gewinnen, denn Routinen können genügen, je nach Beherrschung und Selbstdisziplin.

Zur interessantesten Frage (der Utopie einer digitalen Selbstverewigung usw.) mag ich grad aus Zeitgründen nicht eingehen, denn da darf keene Oberflächlichkeit sein, zumal der Titel "Recht auf ein virtuelles Zuhause" nicht ohne gedankliche Reichweitenabwägung gewählt ist. Bis dann:-)