Rücksichtnahme
und Toleranz
Moin Noa,
auf die explizite Frage, ob ich Satire
verbieten würde, käme von mir kein "Doch,
kann ich".
Differenz, kritische Reflexion, humoristischer Umgang mit Konflikte sollen sein,
stehen mir weniger unter dem Stern der Rücksichtnahme als vielmehr unter dem
Stern von Absichten und Folgen.
Die Kritik an Absichten und Folgen ist begründet genug, um die Verbreitung der
Mohammed-Karikaturen z.B. bei uns im Forum zu unterbinden, andersortige
Verbreitung zu kritisieren, nicht aber auch dort verbieten zu wollen, zumal mir
am intellektuellem Wettbewerb liegt und darauf Vertrauen setzen darf, wer sich
bemüht und selbstkritisch bleibt:
Jeder Mensch, jede Politik, jede Religion darf sich für den Leuchtturm und Pfad
der Tugend halten, problematisch wird es erst, wenn man anderen Menschen,
Politiken, Religionen solch Recht abspricht, verhindert.
"Problematisch" heißt wiederum nicht, dass nun jeder Mist zulässig wäre,
die Bekenntnisfreiheit für sich zu beanspruchen, denn das Maß der persönlichen
Bekenntnisfreiheit steht unter dem Vorbehalt des Bekenntnisses zur allgemeinen
Bekenntnisfreiheit.
Noa hat folgendes geschrieben: |
Ich meine sehr wohl, dass
jeder auf jeden erstmal Rücksicht nehmen muss. |
Auf der Autobahn, im Porzellangeschäft, aber in politischen Fragen und im persönlichen
Umgang findet das Gebot zur Rücksichtnahme seine Grenze im Gebot zur Toleranz,
also ertragen zu sollen, auch wenn es einen "zutiefst intim verletzt",
gegebenenfalls die eigene Verletzlichkeit kritisch zu hinterfragen.
Noa hat folgendes geschrieben: |
Wer nicht religiös ist,
kann das manchmal wohl nicht nachvollziehen. |
Du kannst wohl manchmal nicht nachvollziehen, was religiös überhaupt ist, denn
Anna ist religiös und zieht dennoch andere Schlüsse als Du.
Auch die Religionsstifter
Jesus
und Mohammed
waren religiös, hätten vermutlich anders auf Schmähungen reagiert, woran sich
Christen und Muslime zu orientieren haben, wie mit Verletztheiten umzugehen ist.
Wem die Religionsstifter keine Orientierung sind, sollte sich nicht Christ oder
Muslim nennen.
Noa hat folgendes geschrieben: |
... intimes Verhältnis
hat. So ein Verhältnis hat ein Gläubiger auch mit seiner Religion! Nur
das wird von sekularen Menschen nicht verstanden, wenn sie darüber
reden als redeten sie von einer Nebensächlichkeit. |
Auch Intimes kann Gegenstand von legitimer Kritik werden, sobald daraus Probleme
erwachsen, denen vorgebeugt oder abgeholfen gehört. Deshalb gibt es
Pflegschaften, Vormundschaften usw.
Aber um Religion als Intimes geht es im Karikaturen-Streit nicht, sondern um
Religion als Politisches. Dass der Religiöse zugleich auch ein intimes Verhältnis
zur Religion hat, sollte berücksichtigt sein, wird von Andersdenkenden, aber
auch schon von Andersgläubigen oftmals nicht berücksichtigt oder sogar bewusst
als Angriffsfläche benutzt.
Trotzalledem kann die persönliche Verletzlichkeit nicht Weltmaßstab sein und wäre
überdies falsche Religiosität, worauf Muslima87 mit ihrer Mohammed-Geschichte
zutreffend hinwies.
Konfuzius
wird mit den Worten zitiert: "Von
den Menschen verkannt zu werden, aber sich nicht zu grämen, ist das nicht die
Haltung eines Edlen?"
Solche Toleranz
ist Weisheit,
gibt es bei vielen und wäre allen als Tugend
zu empfehlen. Die Weisheit
stärkt im Menschen das Selbstbewusstsein und Edle, während die Betonung eines
Quasi-Rechts auf Verletztlichkeiten die Konflikte eskaliert, die charakterlichen
Schwächen fördert, also auch dem Schwachen letztlich nur Schaden bringt.
Jeder Wert
verliert sich, sobald er seine Begrenztheit durch andere Werte verkennt.
Oder positiv formuliert: Jeder Wert bewahrheitet sich ausschließlich im
Bewusstsein seiner Bedingtheit durch andere Werte.
LG von Sven
>> Diskussion
Ideale im Streit zur Wertegemeinschaft
Dialog-Lexikon