SEW-Mentalität

Selbstgespräche  eines ehemaligen Kommunisten

Die SEW war die Schwesterpartei der in der DDR regierenden SED

was ich mich fragte 
und mir zur Antwort gab
kennst Du das
für Deine Aktivitäten?
Was hielt mich auf Kurs?
Die Angriffe des politischen Gegners.
 
Was hielt mich bei Laune? 
Die vielen kleinen politischen Erfolge.
 
Wie konnte das angesichts der Niederlagen im Großen sein?
Der politische Gegner war stark genug, dass man sich die Niederlage verzeihen mochte.
 
Welche kleinen Erfolge konnte ich feiern?
Am wenigstens die abnehmende Zustimmung an der Universität, 
 
mehr schon die Zustimmung bei Bündnispartnern, die einen brauchten,  
mehr noch die Zustimmung im eigenen Bekanntenkreis,   
am meisten die Zustimmung im eigenen Wirkungsbereich der Partei.  
Unter welchen Niederlagen habe ich gelitten, wenn schon nicht unter den großen?
Es gab genug große Niederlagen, für die sich keine Entschuldigung fand, weil sie einfach zu sehr im Machtbereich der sozialistischen Staaten waren und der politische Gegner rein gar nichts dafür konnte, so sehr man danach auch suchte:
 
- die Art der Kriegführung in Afghanistan, auch wenn man den Krieg selbst als Werk des Imperialismus ansah,   
- der Abschuss eines Passagierflugzeugs, zu dem es nicht hätte kommen dürfen,   
- die Havarie von Tschernobyl,  
- die unsäglich dumme, undemokratische und unflexible Politik der Partei-Spitzen, die keinerlei Kritik gegen sich gelten ließen,  
- das Scheitern von Gorbatschow war das Schlimmste.  
Daneben noch die vielen kleinen Niederlagen in allen oben genannten Bereichen, wenn trotz hohem Engagements der Erfolg nachließ, wenn selbst beste Freunde einen nicht mehr verstanden.   
Und am nervigsten, wenn einem die Partei in den Rücken fiel, für deren Ziele man meinte zu wirken und alles auf sich nehmen zu müssen.  
Musste das nicht für den Austritt reichen?
Das ist auch eine Frage der Mentalität. Vielen reichte es und sie zogen Konsequenzen, ich gehörte zu solchen Positivdenkern, die sich ihre Hoffnungen immer wieder selbst machen. Dann auch die üblichen Abwägungen, was das Kleinere Übel sei, wobei darin schnell der Irrtum ist, wenn man Unrecht mit Unrecht vergleicht und nicht mit dem Recht.
 
Hatte ich jemals ein politisch schlechtes Gewissen?
Oft. Und die Gründe nannte ich oben. Aber ich glaubte wie religiös an die Möglichkeit, Missstände in Ideale zu wenden und hätte mir nur davon Gewissensentlastung versprochen, aber nicht ein einziges Mal in den zehn Jahren durch das Verlassen des Schiffs.
 
Wie wichtig war mir die Partei?
Es gab für sie in meinen Augen keine Alternative.
 
War mir die Partei das Wichtigste im Leben?
Es kommt darauf an, wie man es betrachtet. Parteileben oder Überlebenspartei. 
Am sogenannten Parteileben lag mir wenig, auch wenn ich die meine Gruppen mochte, aber wenn ich mit ihnen zusammen war, dann mochte keine unpolitischen Dinge, denn dafür gab es politisch zu viel zu tun und über das Wetter und Beziehungsfragen war außerhalb der Partei schon zu viel zu reden. Das wiederum machte mich in der Partei manchen Genossinnen und Genossen anstrengend. Ich galt sicherlich nicht als Mann der Beton-Fraktion, aber als jemand, der wenig Kopf für den Bauch hat.
 
Wichtiger schien sie mir als Überlebenspartei, denn die Partei war mir eher ein Schiff. Ein schlechtes, immer zu klein in den hohen Wellen, dazu noch schlecht gesteuert, wodurch es unter jede Welle geriet, wie sie kamen - und der Steuermann wollte von der Abdrift nichts wissen. Ein Schiff, an dem man umso weniger Spaß hatte, je besser man die Schwächen  kannte und die Gefahren auf See. Aber aber ohne Schiff sah ich keinen Weg zum Ziel. Man musste nur sehen, dass es nicht unterging und dass es möglichst bald den Kurs korrigierte.   
Gab es also nichts, was mich zum Austritt bewegen konnte?
Ich konnte jeden verstehen, der austrat. Aber mich hätte ich nicht verstanden. 
 
Fühlte ich mich als Kapitän?
Allenfalls im Beiboot, das Minen wegräumt, aber in der SEW war schon klar, wer auf der Brücke stand bzw. schlief. Es fehlte mir nur an Vorstellungskraft dafür, dass er eher stirbt als erwacht, obwohl von allen orthodox kommunistischen Parteien bekannt war, dass es nicht anders ist als im Vatikan: die Macht geht nicht in Rente. Ich sah zwar auch Gründe für solch selbstzufriedenes Verhalten, aber den entscheidenden Grund und Widerspruch sah ich nicht: wer an der Macht ist, dem ist sie schon Rente und mag daran nichts mehr ändern.
 
Nichts konnte passieren, um mich zum Austritt zu bewegen?
Dass Schiff schlägt aufs Riff und es sind nur noch Leichenfledderer da. So war es im Februar 2000, als ich von Bord ging, weil einfach niemand mehr da war, mit dem das Schiff vom Riff zu holen war.
 
Warum rede ich in Metaphern? Ist das Unsicherheit?
Ich dürfte von mir redend schwerer verständlich sein als wenn ich mir selbst Bilder ausdenken muss, die es beschreiben und nachvollziehbarer sind. Das hat also auch Momente von Unsicherheit.
 
Würde ich im Nachhinein noch einmal in die SEW eingetreten sein?
Es war kein Leidensweg. Solch Eindruck wäre falsch, sondern eher eine permanente Herausforderung und das konnte ich gut für mich gebrauchen. Ich erlebte vieles, was ich anderen Lebenswegen voraus habe und ungern missen möchte. Ich genoss das Privileg, auf beiden Seiten zu streiten. Es war ein Privileg. Aber im Nachhinein. Im Nachhinein wäre ganz klar darauf zu verzichten. Man muss dann eben doch "draußen" bleiben bzw. zwischen den Fronten tun, dass sich die Fronten nichts tun. Das wäre richtiger gewesen, als auf einer Seite gegen die andere Partei zu ergreifen, obwohl sie es nicht verdiente. Zwischen den Fronten gibt es keine Privilegien und die wenigste Sicherheit, aber nur wenn genügend dort sind, kann man etwas gegen die Feindschaft tun.
 
Würde ich mich also heute auf die Mauer setzen, wenn sie noch stehen würde?
Ja, da saß ich sogar, als sie noch stand, aber predigte zu viel in eine Richtung. Nein, man braucht nicht auf der Mauer oder real zwischen den Fronten zu stehen, sondern muss dort, wo man steht, für friedliche Einstellungen wirken.
 
Aber das machte ich doch als Kommunist im Westen?
Das dachte ich. Und so fing es auch an, aber dann ließ ich mich durch den ausbleibenden Erfolg zu sehr von der anderen Seite feiern. Solche Versuchungen sind groß und auch, dass sich das Denken nach den Vorteilen wendet, zumal die Feindschaft gegen den Westen nicht weniger plausibel war als jene im Westen gegen den Osten, wenn man sich überlegte, dass die Hauptgefahr von Atomwaffen ausging und den Eindruck gewann, dass der Westen naiver im Umgang mit solcher Gefahr war.
 
Dann ist der Westen schuld, dass ich die Partei des Ostens ergriff?
Schuld sind immer die anderen, wenn man für eigenes Handeln keine Ausreden parat hat, aber das wäre nur die Fortsetzung der falschen Politik. Dann sollte man auch nicht so tun, als distanziere man sich von ihr.
 
Der Mensch ist nicht nur das Ensemble gesellschaftlicher Einflüsse, sondern auch im kühnsten Altruismus noch egoistisch genug, um mitzudenken, mitzugestalten, solange er sich noch in seiner Freiheit ernstnehmen will und nicht sagt: "Ich bin kein Mensch, sondern nur Rädchen."   
Ich dachte genug über mein Tun nach, denn der Tag hat nicht beliebig viele Stunden, aber offenbar dachte ich nicht genug im  Grundsätzlichen nach. Das schien mir unmöglich, denn ich hielt mich stets für "grundsätzlich".   
Und was habe ich so "Grundsätzliches" übersehen? 
Ich sagte es schon: Dass man nicht Unrecht an Unrecht messen darf, sondern am Recht.
 
Und hätte es etwas gebracht, wenn mir das jemand gesagt hätte?
Nein.
 
Warum nicht?
Weil Irrationalität hartnäckig sein kann wie die Vernunft. 
 
Warum mache ich dann überhaupt, was ich für Aufklärung halte?
Was jemand nicht weiß, kann er nicht verständig entscheiden. 
 
Aber er tut es doch trotzdem nicht!
Der eine tut, der andere nicht, weil die Aufklärung keine Garantie für die Vernunft ist: viele rauchen, obwohl jeder weiß, dass es schädlich ist. Viele rauchen weniger oder lassen es ganz und hätten vielleicht ohne Aufklärung weiter geraucht. Die Aufklärung macht also vernünftiger, nicht jeden, aber insgesamt.
 
   
Und wie hätte ich mich dann entscheiden spollen?
Für keine der Seiten gegen die andere.
 
Ist es eine Lösung, neutral in den Konflikten zu sein?
Ja, wenn man den Konflikt nicht will, dann ist die Neutralität darin alternativlos.
 
Und wenn nun wirklich ein System schlechter ist als das andere, was doch hochwahrscheinlich ist?
Dann kann man es nur darin vertreten, worin es besser ist, aber nie ist es gut genug, solange es einen Konflikt nicht friedlich zu lösen versteht.
 
Aber wenn eine Seite will und die andere nicht, soll sich dann die friedliche Seite der unfriedlichen ergeben?
Es kommt auf den Einzelfall an. Das lässt sich pauschal nicht entscheiden.
 
Überzeugt mich das?
Nein, das tut es nicht. Das soll man sagen, solange es so ist. 
Wer überzeugt ist, soll seine Irrtümer nicht vergessen.
 
   

Klingt das irrational?
Auch Irrationalität kann konsequent sein.

Moralische Verantwortung eines ehemaligen SEW

Bekenntnislage 1991       

SEW Sozialistische Einheitspartei Westberlin      

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