Berlin, den 15.02.1999
Sehr geehrter Herr Rau!
Ich wende mich an Sie mit einer außergewöhnlichen
Bitte. Es
geht um Ihre
bevorstehende Wahl zum Bundespräsidenten.
Die Erklärung des SPD-Parteivorstandes v. 2.11.98 zu Ihrer
Nominierung
stellt zutreffend fest, daß Sie Menschen zusammenführen können, Brücken
der Verständigung bauen. Tatsächlich repräsentieren Sie das neue, weltoffene
Deutschland.
Tatsächlich können Sie ein hervorragender Bundespräsident aller
Deutschen
sein.
Dennoch bitte ich Sie eindringlich um Verzicht auf dieses Amt zugunsten
eines Mannes, obwohl und weil dieser Mann nicht bei allen Bürgerinnen
und Bürgern unseres Landes so beliebt sein wird wie Sie.
Aber genau darin liegt die Chance zum Brückenschlag. Ich bitte Sie
zugunsten von Herrn Ignatz Bubis, dem Vorsitzenden des Zentralrates der
Juden in Deutschland, auf das höchste Staatsamt zu verzichten.
Eine solche Entscheidung wäre von historischer Dimension, einmalig und
hoffentlich bleibende Zäsur in 1700 Jahren deutsch-jüdischer Geschichte.
Die Politiker aller Parteien, alle Mitglieder der Bundesversammlung könnten
demonstrieren, daß sich Deutschland staatlich vom Nationalsozialismus
emanzipiert hat.
Und es steht allein in Ihrer Macht, dieses Zeichen zu setzen!
Gesellschaftlich kann von dieser Emanzipation leider keine
Rede sein, denn
in Berlin, der Stadt, aus der Sie diese Zeilen erreichen, müssen noch immer
jüdische Einrichtungen permanent polizeilich gegen antisemitische Anschläge
gesichert werden.
Ich schreibe Ihnen aus Berlin, der Hauptstadt unseres Landes, in der Sie bei
jedem Einkauf, bei jedem Spaziergang durch die Straßen der Stadt auf
Menschen treffen, die durch Kleidung ihre rechtsextreme Gesinnung bekennen.
Es hat in der Vergangenheit nicht an guten Reden gefehlt und auch von Ihnen
dürfen wir solche erwarten. Aber es hören nur die, die hören wollen. Darum
bedarf es eines unübersehbaren und personellen Signals.
Die innere Einheit Deutschlands wird viel diskutiert und wir in Berlin wissen
um die Unvollendetheit dieses Einigungsprozesses.
Aber wir verdienen die innere Einheit Deutschlands erst dann, wenn wir bereit
sind, sie auch mit unserer jüdischen Bevölkerung herzustellen. Ein
Deutschland,
"vereint", aber unvereint mit seinen Juden, wäre nicht
"neu" genug!
Noch im selben Jahrhundert der schlimmsten und deutschen Verbrechen
an den Juden haben Sie allein und jetzt die Möglichkeit, deutsche Geschichte
zu schreiben!
Mit freundlichen Grüßen
markus sebastian rabanus
www.internet-journal.de
p.s. Dieses Schreiben und der beiliegende Offene Brief an
alle Parteien wurde
bereits mit vielen Vertrauten diskutiert und oftmals geändert.
Es herrschte Einigkeit, daß Sie für das Amt, das Ihnen so sicher ist, geeignet
sind.
Es herrschte hingegen große Sorge, daß die Nominierung von Ignaz Bubis
antisemitische Ressentiments wecken könnte, weil er für das "wohlhabende
Judentum" stehe. In der weiteren Kampagnenvorbereitung wurde jedoch klar,
daß diese Sorge nicht bewirken darf, dem Antisemitismus nachzugeben.
Es kommt dann eben wirklich darauf an, wie sich die neue Regierung und alle verantwortlichen in Politik und Wirtschaft zur deutschen Geschichte, zum
Judentum in Deutschland stellen.
Der Holocaust verpflichtet uns alle, für die Juden, die ermordet oder aus
unserer gemeinsamen, deutschen Heimat vertrieben wurden, zu sprechen.
Die Stellvertretung darf nicht anmaßend sein, also immer nur so, daß jeder
einzelne Jude selbst entscheidet, was ihm nach der geraubten Synthese
mit Deutschland noch möglich ist. Aber Deutschland ist zum Angebot
verpflichtet, welche innen- oder außenpolitische Antwort auch immer zu
verkraften ist. |