Nahostkonflikt 2018-04-03 unfertig
@Bast, da sind viele Sachen drin, die wir beide
gleich sehen. Auch die inhaltlichen Differenzen werden auszuräumen sein, weil
auf Ebene von Logik.
Komplizierter wird vermutlich erst, wenn es um das materielle Schlachtfeld und
die Friedensordnung geht.
Aber anzufangen mit sei mit der Denkart.
"Wie die Forderung einer Welt ohne
Antisemitismus diesen fördert erschließt sich mir nicht."
So lautete meine These auch nicht, sondern dass solcher Tag nicht abgewartet
werden kann. - Nun werden wir übereinstimmen.
"Dass es ihn provoziert mag sein, aber was
provoziert Antisemitinnen nicht?"
Jenau so isses und hat immer wieder meine spontane Zustimmung, als hätte ich es
mir nicht schon oft und systematisch anders durchdacht, aber wir bleiben
Gefühlswesen, auch wenn wir Erfordernisse in Richtung Logik einsehen.
Also: Dass Antisemiten auch in bestem Tun und Reden bloß Falle sehen, muss berücksichtigt sein, aber würde zu Fehlschlüssen führen, wenn wir Antisemitismus und Antisemiten für gleichermaßen unabänderlich hielten.
Der Antisemitismus ist unabänderlich, wenngleich mit Dynamik antisemitischen Erfindungsgeistes, wie er jeglicher Feindschaft eigen ist.
Die Antisemiten sind bekehrbar, mit Ausnahme derer, die man aus falsch verstandener Liberalität davon leben lässt oder die man vorerst nicht hindern kann, aus dem Antisemitismus ein Geschäftsmodell zu fahren. Deren ideologische Korruptheit steht und fällt allerdings mit der Existenz oder Zunichtemachung des Geschäftsmodells.
Warum sind Antisemiten bekehrbar?
a) Weil Menschen,
b) weil wir die besseren Argumente haben,
c) weil wir genug Macht haben, den Antisemitismus nicht bloß in die Schranken
zu weisen, sondern auch zurückdrängen können, wenn wir uns nicht zur
Misanthropie verführen lassen. - Ich vermute, wir stimmen überein.
Dass "ein historisch singuläres Verbrechen
eben singuläre Konsequenzen" erforderlich machen kann, ist dennoch kein
Ausnahme, sondern Regelfall allen vernünftigen Rechts, ob nun im Umgang mit
schlimmsten oder weniger schlimmen Verbrechen.
Nur leichtesten Vergehen genügen pauschale Bußbescheide.
Warum sage ich solch' Banalkrams?
Weil es um Prinzipien gehen muss, die sich besser für gemeinsames Agieren
eignen, als wenn man annehmen dürfte, es komme aus Gründen von Einmaligkeiten
weniger auf einzuhaltende Prinzipien an.
Du mutmaßt, dass die damalige UNO nur deshalb
für Israel stimmte, weil es erst wenige und mehrheitlich demokratische
Mitgliedsstaaten waren.
Okay, an der These ist viel dran, wenngleich wir beobachten können, dass auch
Demokratien längst kein Garant für menschenrechtlich oder völkerrechtlich
richtige Entscheidungen sind, sondern mit oder auch gegen innere Mehrheiten zu
sehr schlimmen Rechtsbrüchen fähig.
Ich vermute anders, dass unter dem frischen Eindruck der Shoa die Entscheidung zugunsten Israels auch mit der heutigen Anzahl an Mitgliedsstaaten erfolgt wäre, während Du m.E. den seitherigen Sinneswandel in der Welt unterschätzt, der aus Israels fortdauernder Besatzungspolitik resultiert.
Dieser Sinneswandel Richtung Kritik an Israels geht inzwischen längst auch in die Verlautbarungen und Gesellschaften der Verbündeten ein, wenngleich überlagert davon, dass man Israel die weitere Expansion ("Siedlungspolitik") durchgehen lässt, weil Israel politisch und militärisch in allerlei sonstiger Weltrivalität auf Seiten des Westens steht.
Netanjanu ist m.E. der typische Doppelsprech,
wenn einerseits Wahlkampf macht, wie einsam Israel sei und deshalb besonders auf
der Hut sein müsse, andererseits aber im Westen mit dem Slogan tourt, Israel
sei Vorposten der Nato, westlicher Werte und Demokratie.
.
Während ich wiederum meine, dass Israel in solcher Rolle und Selbstwahrnehmung
keine Chance hat, in der Nachbarschaft friedlich irgendwann anzukommen, zumal
auch nicht "demokratisch" ist, was man den Palästinensern an
Besatzung und Annexion zumutet.
"Sein Volk war und ist noch immer von völliger Auslöschung bedroht."
Nein, ist es wirklich nicht. Allenfalls im Kontext völliger Auslöschung der Menschheit, wie uns jederzeit versehentlich vor allem aus der atomaren Rivalität zwischen den USA, Russland und China ereilen kann.
Albert Einstein hat es am trefflichsten diagnostiziert und Konsequenzen gefordert, wie auch ich sie fordere: Die Wahrung des Friedens hat letztinstanzliches und militärisches Monopol der Vereinten Nationen zu sein, nicht mehr der Nationen, denen der Krieg ansonsten "Fortsetzung von Politik" und "Ultima ratio" bleibt.
Aber nicht missverstehen, denn solange kein UNO-Streitkräftemonopol ist, werde ich keinem Land, erst recht nicht Israel, die militärische Selbstverteidigung absprechen.
Legitim ist das antiquierte Selbstverteidigungskonzept jedoch nur in dem Maße, wie auf die Durchsetzung des völkerrechtlichen UNO-Gewaltmonopols hin gearbeitet wird.
Und diese Legitimation verliert sich im Umkehrschluss, je mehr man sich gegen die Vereinten Nationen sperrt, wie es Israel macht, wie es Nordkorea macht, wie es Russland macht, wie die Nato macht, sobald ihnen aus Gründen von Rivalitäten die UNO-Instrumentalisierung zu misslingen scheint. Das alles ist völkerrechtswidrig und verletzt die Pflichten aus der UNO-Charta.
"Ich kann nicht anders, als ihm ein
unbedingtes Selbstverteidigungsrecht zuzugestehen."
Hmm. Lasse das "unbedingt" weg, denn wahre Loyalität kann keine
blinde Gefolgschaft sein, zumal Du selbst eine Rechtfertigungsreihenfolge
anfügst.
"Bedingungslosigkeit" ist tiefes Bedürfnis, aber ätzend. Und Verhältnismäßigkeit muss immer sein.
Und Deine Rechtfertigungsreihenfolge ist zu typisch für unser kriegerisches Denken, denn sie müsste genau umgekehrt sein. Also die Rechtfertigung ist zunächst dem Feind geschuldet, dann den Verbündeten, dann der eigenen Horde (Partei, Wähler usw.).
In unserer Realität ist es leider so, wie Du es
reihtest,
- weil die Macht kommt vom Wähler, dem man sich zwecks Wiederwahl einschleimen
muss,
- dann den Verbündeten, sofern man sie braucht
- und wer sich zuvörderst dem Feind genehm zu machen bemüht, wie ich es
fordere, wird "Verräter" geschimpft.
So lässt sich zwar die eigene Macht sichern und Fortdauer des Konflikts, aber kein Frieden erreichen, es sei denn durch Sieg oder Niederlage.
"Aber auch die (Wohlgesonnenen) haben die Shoa nicht verhindert."
Stimmt. Unverzeihlich. Also keine Vergebung.
Solche Verbrechen und anderes Unheil waren ursprünglichste Gründe meines aus kindlich-religiöser Verzweiflung entstandenen Atheismus. Aber politisch hat man noch keinen Vorteil daraus.
Politischer (und geschichtlicher) ist, dass man
sich treiben ließ, nicht alle Register zog, eine deutlich sichtbare Entwicklung
zu stoppen und umzukehren.
Und wieder lag es am Festhalten an antiquierter Nationalsouveränität, während
der ehemalige US-Präsident Woodrow Wilson mit seinem 14-Punkte-Plan einen ganz
anderen Völkerbund wollte, nicht solchen, wie er als Versailler Vertrag
Deutschland überforderte und dem deutschen Revanchismus Auftrieb verschaffte.
Ein Großteil Europas wurde von Rechtspopulisten regiert, mehrere Länder von
Faschisten und im Osten Stalin.
Solch' Europa taugte schlecht, um Deutschland zu
stoppen und Juden zu retten. Die USA sahen Japan schon seit 1937 imperialistisch
durchticken. Washington konnte 1939 nicht sehr erpicht darauf sein, an alsbald
zwei Fronten zu kämpfen.
Aber es kam, wie es kommen musste, dass sich die erfolgreichen Räuber nicht
wegbeten ließen.
Und dann war es für 50 oder 60 Mio. Menschenleben zu spät - und die Befreiung
der Shoa-Überlebenden weniger Schlacht als ein Gefecht um einen Brückenkopf.
Mit der UNO wollte man daraus lernen, aber der
völkerrechtswidrige Missbrauch des Vetorechts lähmt die Organisation und
machte weitere Völkermorde möglich.
Eine yesidische Familie ist unter einem meiner Dächer - und wird es Arabern
nicht vergessen können.
Im selben Haus ein syrischer Dissident. Das hilft etwas für den Neuanfang, aber
Vergebung darf niemand erwarten.
Auch der Welt kann nicht vergeben werden, die zugesehen hat. Bis auf die Kurden, zu denen sich die Jesiden zählen - und nun vom Westen gegenüber Erdogan im Stich gelassen werden.
Du reklamiertest, dass Israel Empörung erntet,
während "Dafur" usw. keinen vom Hocker holt.
Stimmt, solch' selektives Interesse darf verdächtig sein, zumal
"Selektion" als Erinnerung.
Aber a) es ist nicht per se falsch, wenn sich jemand auf ein Problem konzentriert, ansonsten dürfte sich meine Frau nicht um Vogelschutz kümmern, sondern müsste Robben auf Grönland retten - und hätte vom einzelnen Problem weniger Ahnung.
b) Die Kritisierten merken oft nicht, dass ein Kritisierender andere in gleicher Weise kritisiert, weil die Kritisierten sich zu sehr für ihren eigenen Konflikt interessieren und übersehen, worin sich Konflikte gleichen.
c) Interesse am Desinteresse hat oft nur, wer unkritisiert Mist bauen will. Darum dürfen wir in viele Länder gar nicht erst reinschauen, während sich Israel auf die Wertegemeinschaft beruft, folglich auch schuldet.
Und aller an Juden begangenen Verbrechen zum Trotz, können israelische Expansionisten daraus keinen Bonus auf Unkorrektheit beanspruchen, wie sie es praktisch tun, wenngleich bestreitend, aber zugleich auf Sünden anderer hinweisen, z.B. Tibet, als sei daraus Völkerrecht oder jemand in der Lage, dort die Geschichte umzukehren.
Wahr ist: Die USA, Russland und China können
einander kaum stoppen, ohne gemeinsamen Untergang.
Die Großen laufen zu lassen und bloß die Kleinen zu greifen, sofern keine
Großen dahinter stehen, ist nicht schön, aber legitim.
Denn wenn bzw. solange Gerechtigkeitschaffung unmöglich ist, macht sich am
Unrecht niemand schuldig außer denen, die es begehen.
Netanjahu weiß sich allerdings in starker
Allianz, wird allseits aufgerüstet, hat Atomwaffen - und hat Grund zur
Hoffnung, dass "geschaffene Fakten" Israel dauerhaft verbleiben - und
dann möglichst viel, denn es sind nicht wenige Stimmen, denen sich hinter der
"Judäischen Wüste" die "natürliche Grenze Israels zu
Jordanien" verortet.
Und bloß noch: "Wohin mit den Palästinensern?" - Restgebiete
staatsuntauglich machen. Dann erledigt es sich.
Das sind ernstgemeinte Ansichten von Leuten, die mich zum
"Selbstverteidigungsrecht Israels" belehren wollen.
Hilfsweise erinnert man mich, dass in Israel
viele Araber leben - und mir könne nicht daran gelegen sein, dass Jericho
"judenfrei" werde.
Richtig, aber das geht am Problem vorbei, dass es nicht zur staatlichen
Expansion berechtigt.
Weil ich mir aber aus prinzipiellen Gründen den Glauben an die Vernunft nicht nehmen lasse, werde ich bis zum Beweis des Gegenteils darauf pochen, dass Gerechtigkeit widerfährt und Unrecht nicht lohnt.
Womit ich beim Schluss angelangt bin ;-) Was ich mir Nahost-Friedensplan denke:
Am liebsten wäre mir
frisch-fröhlich--multikulturelles Miteinander von Juden und Arabern in einem
gemeinsamen Staat Israel oder kombinierten Staat Israel-Palästina.
Aber das scheint zu unrealistisch, denn fernab von UNO-Resolutionen und dem
Willen der Konfliktparteien, ist folglich kein Friedensplan.
Deshalb mein Festhalten an Zweistaatlichkeit dergestalt,
- dass der Palästinenserstaat von der UNO überwacht entmilitarisiert wird, allgemeines Schusswaffenverbot mit Ausnahme polizeilicher Erfordernisse,
- dass der Palästinenserstaat in seinen Teilen durch eine Transitstrecke verbunden wird,
- dass Israel die völkerrechtswidrigen Eroberungen (seit 1967) rückgängig macht, die "Siedlungen" entweder unzerstört an den Palästinenserstaat übergibt oder dem Palästinenserstaat übergibt,
- dass Israel Ostjerusalem einer palästinensischen Verwaltung überlässt, ganz gleich, welche Fahnen dort wehen - mit Ausnahme solcher, die dem israelischen Staat das Existenzrecht bestreiten, also nichts wie HAMAS & Co., die es ans Völkerrecht zu gewöhnen gilt.
- Was den Rückkehranspruch von Palästinensern
nach Israel anbelangt, fehlt es m.E. an politischen Voraussetzungen dafür,
weshalb mir auch die aktuellen Demos der Palästinenser missfallen, weil
Rückkehr setzt ein Maß an Versöhnung voraus, wie es auf lange Sicht
unwahrscheinlich ist.
Versöhnung setzt die Realisierung der vorgenannten Friedensregelungen weit
voraus.
Also eingeschobene Floskel: Erst Frieden, dann Versöhnung. Wer umgekehrt denkt,
der träumt oder schwindelt, um nichts zu erreichen.
Aber auch nach Frieden und Versöhnung
(Versöhnung i.S.v. Neuanfang) dürfte die Rückkehr so vieler Palästinenser
Israel kaum möglich sein, auch nicht Aufnahme im Gaza-Streifen und
Westjordangebiet, weshalb überlegt werden müsste, heimatlosen Palästinensern
in anderen Ländern Heimat anzubieten.
Insbesondere Deutschland sehe ich in solcher Pflicht daraus, dass Palästinenser
durch die von Deutschen verschuldete Shoa in unzulässige Mithaftung gerieten.
Nun mag ich zu fortgeschrittener Stunde mal flapsig sein, zumal ich weiß, dass Herr Seehofer "Obergrenzen" will und Gauland keinen muslimischen Nachbarn. Drum müsste man zunächst für Gauland eine andere Unterbringung finden und dem Seehofer zusagen, dass mit Vollzug der Zweistaatlichkeit fünf Jahre maximal 200.000 Palästinenser pro Jahr zuwandern und ansonsten nur Superhärtefälle, weil besondere Verantwortung für den Nahostfrieden.
Würden mehr Palästinenser migrieren wollen,
müssten auch mit Herrn Trump geredet werden, denn die USA tragen viel
Mitverantwortung dafür, dass der Nahostkonflikt noch nicht erledigt ist.
Die arabischen Staaten, allen voran Syrien, Ägypten, Jordanien stehen ebenfalls
in der Pflicht, vor allem wegen der Kriege, aber sie nahmen auch viele
Flüchtlinge auf, die dann sämtlich zu integrieren wären.
Der enthaltene Sarkasmus in eigentlich zu ernster Sache macht dieses Posting zum "weniger offiziellen Dokument" ;-)
@Bast, Du spieltest den Friedensplan-Ball zwar zurück, was ja keineswegs illegitim ist, aber nun sei so nett & skizziere Deinen.
Markus S. Rabanus 2018-04-03 gepostet bei Klaus >> http://www.facebook.com/klaus.kufner