"DDR = KZ"  ???
 

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  Hallo Detlef,

ich erinnere mich, wie sehr ich "mich" früher selbst gegen Vergleiche sozialistischer Politik mit NS-Methoden verwahrte.
Erst später verstand ich die Unsinnigkeit solcher "Selbstdefinition über ein politisches System".  Sie macht einen zum kritikbeschränkten "Kämpfer für die richtige Sache", die vermeintlich "wichtigste" - "Auf Leben und Tod" auf allen Seiten.

Aber es gibt keine Veranlassung, heute in einen Rausch der vormals nicht mal anzudenkenden Vergleiche zu verfallen: 
so etwa halte ich es für absurd, die "Diktatur des Proletariats" der
DDR mit den Verhältnissen eines rassistischen Vernichtungslagers zu vergleichen.

Es verhält sich mit der Singularität und Gleichartigkeit politischer Praxen nicht anders als mit Eigenarten und Gemeinsamkeiten der Menschen schlechthin. 

Jede Vereinseitigung auf singuläre oder gemeinsame Momente kann kein Geschichtsverständnis bewirken und ist auch nicht durch die Ablehnung totalitärer Systeme zu rechtfertigen.

Noch absurder werden Leute wie Du und ich :-)), wenn wir uns verleiten lassen, auf anderen Gebieten unhaltbare Thesen unseres "Expertenwissen" zu retten, welches wir in Extremistenzeiten erwarben: 
so passiert Dir das, wenn Du beharrlich dem NS seine Faschismus-Qualitäten bestreitest; die Billigwahrheit, dass Faschismus u.a. ohne
Rassengesetz auskommt, verklemmt sich unnötig die Einsicht, dass im Umkehrschluss staatlicher Rassismus den Faschismus kaum unfaschistisch machen würde, sondern in allen Epochen und quer durch alle Herrschaftssysteme "eigenständige Zutat" sein konnte und oftmals war. 

Der NS-Rassismus konglomerierte mehrere Thesen:  a) die antisemitische Sündenbock-These, die alle Ungemach der Welt "den Juden" in die Schuhe schob, b) Herrenrasse-These zur Rechtfertigung hegemonialer Politik, c) eine   sozialdarwinistische These, die sich nicht mit der Völkerkonkurrenz begnügte, sondern die Individuen als solche einbezog: Homosexuelle, Behinderte, Unheilbare  seien "lebensunwert". 

Der NS-Rassismus versuchte sich wissenschaftlich zu legitimieren. Seine Praxis wandelte sich in den nur 12 Jahren mehrfach und eskalierte während des Krieges am signifikantesten in der industriellen Vernichtung von Millionen Menschen, die er zu Juden "verrasst" hatte.

Auch die These von der "DDR als Teil des weltweiten staatsterroristischen Kommunismus" ist nur in dem Maße haltbar, wie die Stefan Effenberg für Bayern München Tore oder Eigentoren schießt. 
Die
UdSSR hatte unbestreitbar Macht in der DDR, aber die DDR-Verhältnisse darauf zu reduzieren, wäre ebenso falsch, wie die von Dir zurecht kritisierte Verkürzung der DDR-Realität auf Mauerbau und Stasi.

Die Staaten des RGW/Warschauer Paktes saßen mit ihren Führungen sicherlich näher zusammen als es bei Kohl und Thatcher wegen unterschiedlicher Essgewohnheiten je hätte der Fall sein können, weil sie gemeinsam ihre Völker und die NATO besser in Schach zu halten hatten.  
Aber die Versuchung, eigene Verantwortung für politisches Versagen auf die   Bündnispartner zu delegieren, ist keine Spezialität  Honeckers, sondern findet sich auch in Regierungserklärungen der überlebenden Systemkonkurrenten, die sich ebenfalls mit "Bündnispflichten" aus ihrer Verantwortung stehlen.

Ich war zu oft Zeuge solcher "Schummeleien": irgendjemand wurde vorgeschickt, damit man hinterher rennen konnte :-))  
Solche Schummeleien sind keine Erfindung sozialistischer Parteien, sondern Alltag aller mir bekannten Organisationen. Allerdings in unterschiedlichem Ausmaß.

Die DDR, jeder Genosse hatte seine Spielräume und kann sich nicht herausreden.
Jeder Reichsbürger hatte seine Spielräume und kann sich nicht herausreden - wie jeder Mensch heute auch.

Wer  KEINE "Spielräume"  hatte,  das waren "die Juden" und "die Zigeuner".
Sie konnten es niemandem "recht machen" und das unterscheidet den finalen NS-Rassismus diametral von den Zuständen in den sozialistischen Staaten, selbst wenn dort die Opferzahlen zumindest in den Köpfen derer, die schon immer das Unrecht des Sozialismus anprangerten, keine Grenzen finden. Aber das mehrt die Wahrheit nicht und mindert nicht das Leid.

Ich dachte bei meinen zwei Auschwitz-Fahrten: "Wenn ich als Kommunist hier ermordet wäre, so hätte ich wenigstens gewusst >>WARUM<<, ob richtig oder falsch, was zwar eine Rolle spielt,  aber Menschen zu vernichten, wofür sie nichts können, weil sie so geboren sind - das ist ein Unterschied."  -  Und das denke ich noch heute.

Liebe Grüße
Sven  
Redaktion

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