Jugendkultur |
Jugendkultur
ist Protestkultur, ansonsten wäre sie nur Abklatsch der
Erwachsenenkultur. |
Mit
dieser Einschätzung beziehe ich nicht den Standpunkt von Jugendkultur
gegen die Erwachsenenkultur, sondern bekenne mich zu den Scherereien mit
unseren Kindern als natürlichster
Sache der Welt, ansonsten darf man keine Kinder haben. |
Hallo "Beton-Head", in der Stadt meiner Kindheit waren begüterte und sozialschwächere Gegenden auch nur durch wenige Straßenzüge voneinander entfernt. Das Jugendzentrum lag genau auf der "Grenze". Wegen der vielen dunklen Räume und guten Veranstaltungsmöglichkeiten war es schnell Treffpunkt und Zankapfel von Rockern, Prolls, Kiffern, Dealern, "Itakern", Schuljungs und stets zu wenig Mädchen, die sich dort nicht recht wohl fühlten. Unsere Rocker hatten sich landesweit einen Namen gemacht, weil sie auf Hinterhalte spezialisiert und "nie verlieren" konnten, wenn sie Rockerbanden entfernter Großstädte beim Feiern überraschten. Wenn sie dann allerdings selbst feierten, konnte passieren, dass die Rocker aus Frankfurt oder Düsseldorf unangemeldet zum "Gegenbesuch" kamen - und dann hatten auch unsere Rocker plötzlich "blaue Augen". Wenn sich die Rockerbanden nicht überfielen, sondern in analoger Anwendung der Genfer Konvention ordentlich den Krieg erklärten, also Schlachtfeld und Termin, wurde daraus meist nichts: "rein zufällig" stand die geplante gegenseitige Hinrichtung genügend Tage zuvor in den betreffenden Lokalzeitungen und die Polizei war in stets ausreichender Stärke aufgefahren, so dass ein Gemetzel zwischen den Rockern undenkbar wurde. Hartnäckig hielt sich das Gerücht, dass der Rockerboss gute Kontakte zu örtlichen Journalisten hatte, aber niemand hätte jemals gewagt, ihn danach zu fragen, weshalb da auch nix zu dementieren war. Einige waren allerdings auch zuhause geblieben wegen "Moped kaputt" o.ä., auch die galten als "verdächtig", aber eigentlich auch eher "unverdächtig", was die friedenssichernden Pressemeldungen anbetraf. Für die anderen wurde es zum "Ausflug" und man schimpfte über die "blöden Bullen", zog sich ins Heimische zurück und "feierte" bis das Blut hinreichend mit Gebräuen aus Flaschen und Fässern durchmischt war, so dass die Jungs auch ohne Haue umkippten. Tags drauf hatten sie dann oft mehr Schmerz und gute Vorsätze, als wenn sie ihren Feinden unter die Fäuste geraten wären. Überhaupt scheint die Hauptwirkung aller Gemetzel, dass man statt guter Vorsätze eher nach Rache dürstet. Ganz anders beim Saufen: am nächsten Tag ist man klüger, aber vergisst es halt wieder. Deshalb: "Haue ist keine Lösung, Alk aber auch nicht." Das gilt freilich auch für andere Drogen, womit wir bei der nächsten Problemgruppe wären: Kiffer wollen mit Haschisch usw. ihr Bewusstsein erweitern, womit sich zumindest andeutet, dass sich eines Problems bewusster sind als beispielsweise die Alkoholsünder. Aber wenn man sich die Gesichter der Jungs und Mädels hinter den Tüten besah, dann konnten einem schon erste Zweifel kommen, ob die hängenden Augenlider tatsächlich für mehr Licht im Kopf sorgen können. In einigen Selbstversuchen bestätigte sich mir diese Annahme rasch und ich versuchte die Bewusstseinsausbeute durch wieder Nachdenken und Phantasie zu erhöhen als durch giftbedingte Fehlfunktionen, wenngleich ich tatsächlich in Haschisch keine . Im natürlichen Bestreben des Menschen nach Neuem und Abwechslung kann es dann auch mal Kokain sein und weil Hirn und Körper daraus leider die falschen Schlüsse zieht, verkürzt sich der Weg zu Heroin, was auch daran liegt, dass es Haschisch im Unterschied zu Alk und Nikotin eben nicht einfach im nächstgelegenen Supermarkt gibt. Solange das so ist, werden sich zu den Kiffern stets auch Dealer
gesellen und die haben dann meist auch gleich ein breiteres Angebot, in
dem sich findet, was es auf Rezept nicht gibt. In den Siebzigern
entwickelten sich rasch die erforderlichen Vertriebsstrukturen zwischen
Produktion und Endkunden, es braucht Leute, die gern zwischen Holland und
NRW hin und her reisten. Die Dealer waren damals übrigens ausnahmslos Deutsche, was also eher
dafür spricht, dass die Dealerei für sich genommen kein
"Ausländerproblem" sein kann, sondern ein
"Drogenproblem" ist :-), also ein Problem unzureichender
Drogenpolitik und nicht etwa "Ausländerpolitik". Die Rocker waren mir aus Handballzeiten und Freibad einigermaßen abstandsgesonnen, weil sie als im nüchternen Rohzustand prinzipiell vernunftbegabten Wesen hinreichend über ihren körperlichen Zustand orientiert waren, der durch Alkohol und Nikotin geschwächt in schweren Lederjacken oft nur Strohfeuer für erste paar Minuten entfachen konnte, um dann jämmerlich in sich zu knicken, was aber Leuten, die sich nicht wehren, auch nicht zur Erfahrung werden kann oder zu falschen Schlussfolgerungen führt, was die Überlegenheit von Obsiegenden anbetrifft. Aber noch heute, wenn ich die Stadt meiner Jugendsünden besuche, ernte ich böse Blicke :-) von manchen, die ihre Jugend überlebten, denn wirklich raffte es dahin. Mit dem Motorrad, mit Messern und den damaligen Big-Boss (er hieß "Laki") sogar per Kugel, allerdings der eigenen, wie es heißt. Schließlich gab es noch die Gruppen ausländischer Jugendlicher. Es waren damals vor allem italienische Jugendliche, die noch nicht integriert waren. Unser schlechter Brauch war es, sie abfällig als "Itaker" oder "Spaghetti-Fresser" zu nennen. Das kam bei denen schlecht an und nicht selten verlor man die Kontrolle, was regelmäßig neben Verletzungen die Zerstörung und Schließung des Jugendzentrums zur Folge hatte. Allerdings wurden wir uns durch die Hauereien auch gegenseitig persönlich bekannt. Man vertrug sich und stellte fest, dass Lorenzo "eigentlich ganz in Ordnung" war, jedenfalls eher als der ein oder andere Rudi. Die Rocker waren diesbezüglich ohnehin
"weiter", denn sie waren mit ihren Motorrädern, sonstigen
Kultgegenständen und Reisen sowieso "internationaler". Ihr Boss
war über all die Jahre unangefochten dieser besagte "Laki", ein
Grieche oder "Halbgrieche" - was spielte das für eine Rolle.
Keine. Er war eine Ikone unserer Stadt :-)) Mit Rockern hingegen hatte man
indes eben sofort Vergnügungen, die ich mir zeitweise fast täglich
bescherte, weil sie sich leicht zum ersten
Schlag provozieren ließen, denn Brutalität war ihr Image und das
versuchten sie zu pflegen. So ganz
"Einzelkämpfer" war freilich auch ich nicht, denn ich "zog
herum" mit D.S., mit Th.L., N.B. (tot), mit P.S. (lebt noch wider
Erwarten:-), aber unser Image war nicht die "Horde". Auch damals gab es vereinzelte Rechtsextremisten, aber nicht nennenswert. Man
hätte sie einfach solange vermöbelt, bis sie ihre ausgestreckten Arme
ins Gebet zusammengefaltet hätten. Es waren so wenig, dass sie sich nirgends hätten
ausheulen und wieder aufrichten können. NPD und ähnliches
waren Opa-Vereinigungen und das viele NEUE war einfach zu attraktiv
für Jugendliche, dass sie sich dauerhaft für Vergangenes, noch dazu
Kapituliertes hätten begeistern können. Damals waren die "Probleme" der Jugendlichen eben 'nen
bisschen anders gelagert als heute: Der Sex war "neu", denn Aids gab es nicht, zumindest nicht bekannt, die Pille ermöglichte Umgangsformen, die unseren Eltern in ihrer Jugend versagt waren, so dass sie uns nun nicht gönnten, was uns möglich war, obwohl damals noch Elternsprüche geläufig waren wie: "Unsere Kinder sollen es einmal besser haben", aber so viel besser, das nervte die "Alten" vermutlich. Die Musik war "neu". Neu ist Musik zwar in jeder Generation, aber die vorherige kann sich daran nie gewöhnen. Es waren u.a. Deep Purple, Uriah Heep, schnelle Gitarrensolos oder dumpfe, schwere Bässe und darunter auch viele böse Texte, aber eben nicht gegen "Rassen" und so'n Quatsch, sondern gegen die Langweiligkeiten normalen Wohlstandslebens und anderen Quatsch:-) Die Mode war "neu", was sie auch immer ist (samt ihren Rückbesinnungen). Damals waren es Schlaghosen, die untenherum an Sackhüpfen erinnert hätten, wären oben nicht dauernd die Reißverschlüsse gekracht. Jeans-Jacken, Cowboy-Stiefel, Parker. Andere rannten mit Sandalen herum, bunten Tüchern wie Inder und lasen Texte, in denen Gurus Erleuchtung versprachen, was dann auch so manchem geschah, allerdings anders als erhofft. Die Politik war "neu", was sie auch immer ist (samt ihren Rückbesinnungen). Die Öl-Krise fegte plötzlich die Autobahnen leer. An einem Sonntag durfte man auf ihnen sogar mit dem Fahrrad fahren, aber genau weiß ich es nicht mehr. Vielleicht war die "Sauerlandlinie" auch noch nicht fertig. Jedenfalls schien der Fortschrittsglaube unserer Eltern-Generation zerbrochen, dass es immer bergauf gehe mit Wirtschaft, Autos und Müllproduktion. Die "Öl-Krise" wurde zur Energie-Krise, denn
die anderen
Energien erwiesen sich als zu knapp, um den gestiegenen Energieverbrauch
decken zu können. Plötzlich erkannte man die natürliche, vor allem aber
politische Begrenztheit der Ressourcen. Deshalb versuchte diese
Elterngeneration die überraschend erfahrenen Grenzen ihres
wirtschaftspolitischen Modells atomar zu überwinden. Wie verrückt
investierten die Regierungen in Atomprogramme und überall im Land wurden
Atomkraftwerke gebaut. Es kam zu Störfällen, die in
"Restrisiko"-Analysen eigentlich "nur alle zehntausend
Jahre" hätten passieren dürfen. Aber ich muss jetzt schließen. Wäsche aufhängen. - So tief kann man sinken :-) Liebe Grüße von Sven ps: Ich wünsche Dir ein schönes neues Jahr und "Überlebensfähigkeit", die sich am besten sichert, indem Du Deine "Feinde" nicht zu verdrängen versuchst, sondern mit ihnen Freundschaft schließt. Das klappt nicht immer, aber es klappt oft genug ganz einfach, denn die Gegensätze zwischen Menschen haben auch Anziehungskräfte. Man muss es nur versuchen. Alles Gute! |
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