| Nun zum "Fall Gysi", die eigentlich Nebensache, wenn man nicht
        auch über ihn mal wieder sprechen wollte:
 
        Warum sollten Politiker bessere Leute sein als die sie wählenden Normalbürger?
 Es gäbe Gründe für das Gutmenschentum, aber viele Leute möchten sich
        eher durch selbstsüchtige Großmäuler als durch einen Jesus vertreten sehen. 
        Gysi war nicht nur laut, sondern auch intelligent und alles in allem deutlich populärer als die durch ihn vertretene
        PDS. Gysi leistete sich  Eitelkeit und
        tat dies meines Erachtens verdient, jedenfalls im Vergleich zu seinen politischen
        Konkurrenten. Wer ihm seine Erfolge missgönnt haben sollte, outet
        eigene Charakter-Probleme und sollte sich  nicht mit politischer Gegnerschaft rauszureden versuchen.
 
 Für letztere gäbe es separate Veranlassung, denn Gysi verzichtete trotz seiner intellektuellen Überlegenheit nicht auf
        einen Links-Populismus, der die Konzeptlosigkeit des Sozialismus für Mensch und Gesellschaft durch Kollektiv-Fiktionen und DDR-Nostalgie verschleierte: "Wir werden es den Bonnern zeigen!", hörte ich ihn mal jenseits aller Marxismus-Theorie(n) auf einem Pankower Straßenfest an
        niederste DDR-Instinkte appellieren.
 
 Gysi war seiner Partei die wichtigste Reformkraft, was man ihm anerkennen muss, weil es dazu sehr wohl Veranlassung gab,
 a) als Alternative zu einem damals drohenden Verbot gab,
 b) als Alternative dazu, dieser Partei lediglich den Rücken zu kehren, als habe es sie trotz 2,8 Mio. Mitgliedern und damit massenweiser Mitverantwortung nie gegeben.
 
 Aber Gysi war nicht nur ihre Reformkraft, sondern auch ihr hervorragendster Förderer, was den Menschen in der ehemaligen DDR zwar ein Stück Identität zu sichern vermochte, aber eben auch um den Preis politischer Kontinuität im Denken und in der unproduktiven Zuweisung gesellschaftlicher Verantwortung an die Adresse des Staates.
 
 Doch auch dieser Vorwurf sollte  nur verhalten gebracht werden, denn
 a)
        war nach 45 Jahren sozialistischer Diktatur die wirtschaftliche und kulturelle Erschütterung zu tiefgreifend, um sie durch Kohls Dekrete zur Hoffnung auf Blühende Landschaften erledigen zu können,
 b) machen es die anderen Parteien auch nicht anders, tun so, als könne
        der Staat alles regeln, es fehle nur an der richtigen Politik. 
        Teilweise würde es ja auch stimmen, aber eben nur in dem Sinne, als der
        Staat sich auf die Gestaltung und Wahrung von Rahmenbedingungen
        konzentriert und sich nicht anmaßt, wirtschaftliche und
        demokratische Verantwortung auf sich zu konzentrieren, der er nicht
        gerecht werden kann ohne alles in Pleite zu jagen.
 
 Nun war Gysi auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere angelangt: Stellv.Regierender der Hauptstadt, Wirtschaftssenator in einer Koalition mit der SPD, also dem strategischen Fortschritt überhaupt, denn die Isolation der PDS musste durch diese Koalition als beendet angesehen werden.
 
 Und jetzt stolpert dieser Mann über eine vergleichsweise
        Geringfügigkeit? Politische Spekulanten mögen ihm das nicht abnehmen,
        möchten ihn als StaSi-Belasteten einknicken sehen. Es wird wieder wenig
        dran sein, aber wenig ist mehr als nichts und für "unsere
        ehemaligen Brüder und Schwestern in der Zone" allemal nachteiliger
        als in den Diensten des Verfassungsschutzes gestanden zu haben. Das
        geteilte Land hatte eine geteilte Realität und war sich dennoch in so
        vielem gleich wie auch die heutige Bonusrepublik-Deutschland zeigt.
        Bundestagspräsident Thierse verlangte bislang vergeblich von der
        Lufthansa Auskunft, welche Abgeordneten außer den "BILD"-Geouteten
        Bonus-Meilen in Anspruch genommen haben. Es war sicherlich ein
        Geheimtipp hunderter Abgeordneter, einander in der BT-Cafeteria
        erzählt, am Flughafen privat umgemünzt: "Es hat funktioniert! Auf
        nach Mallorca!", deutsche Politiker sind eben doch sparsam - klaro,
        bei über 10.000 Euro BT-Einkünften und den knappen Honoraren, die man
        bei Hinzinger & Co. selbstredend ohne Gegenleistung einstreichen
        kann (Stichwort "Leistungsgesellschaft").
 
 Die Konservativen und auch die Hardliner in der PDS können sich für
        den Moment glücklich schätzen,
        denn "Miles & More" kostete erst die Grünen ihren unerfahrenen Minderheitenpolitiker und nun die PDS ihren eigentlichen Chef Gregor Gysi. - In der bundesdeutschen Politik dürfte es langweiliger werden, nicht unbedingt schlechter, nicht unbedingt besser.  Und ich bin gespannt, ob Gysi wie all seine konservativen Polit-Kollegen in den anderen Parteien ein
        Stehaufmännchen sein wird, denn "Miles & More" ist ein Treppenwitz im Vergleich zu
        den endlosen   Partei-Spenden-Affären, die eigentlich CDU/CSU und SPD
        zu kriminellen Vereinigungen hätten abstempeln müssen, aber Demokratien kommen ohne Parteien nicht aus
        und wieder sind die Unterschiede so erbärmlich klein, dass sie mit
        Wahlkampfkosten in Millionenhöhe aufblasen werden müssen, damit wir
        den Eindruck von "Wahlen" haben. Haben wir ja, aber zwischen
        was eigentlich?
 
 Noch ein Wort zu Gysis letztem Selbstrettungsversuch kurz vor dem Rücktritt: Gysi verkündete, die "Ersparnisse" an Amnesty International "spenden" zu wollen.
        Einige Leute werden das für eine nette Idee gehalten haben, mir schien
        es trotz Sympathie zu AI suspekt.  Meine Frau schließlich war (ausnahmsweise:-)
        schneller: Gysis Idee zeuge von Unverstand, denn das ersparte Geld ist Steuergeld und über die Staatskasse hat niemand private Entscheidungen zu treffen.
 Recht hat sie.  Politiker, Volk und ich brauchen ab und zu Nachhilfe
        in Sachen Redlichkeit.
 
 Sven Redaktion           
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