Atomwaffenverbot 2017-09-27 Leserbrief an NWZ  atomwaffenverbot20170927leserbriefNWZ.jpg (86899 Byte)

Vorab: Ich freue mich über die Berichterstattung. Also bitte meine nachfolgende Kritik nicht als Missbilligung auffassen, denn insbesondere zum älteren Atomsperrvertrag finden sich Fehler bis hinein unsere Völkerrechtslehrbücher.

So richtig der Titel "Was bringt das neue Atomwaffenverbot?", so gegenteilig heißt es im Text: Der Atomwaffensperrvertrag "soll die Ausbreitung von Atomwaffen verhindern und beinhaltet eine Verpflichtung zur Abrüstung - aber kein Verbot."

Genau das ist falsch, denn wörtlich heißt es in Artikel 6:

"Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle."

Diese "allgemeine und vollständige Abrüstung" lässt sich nicht in bloße Reduzierung umdeuten.
Vielmehr markieren Reduzierungsabkommen die logischen Zwischenschritte zur Zielerreichung eines weltweiten Atomwaffenverbots.

Logischerweise können davon keine Staaten ausgenommen sein, die dem Atomwaffenvertrag fern blieben, Indien, Pakistan, Israel, Nordkorea.

Auch mit denen gilt es Verhandlungen zu führen, weil anderenfalls das Vertragsziel nicht erreicht werden kann.

Wer ist zu solchen Verhandlungen verpflichtet?

"Jede Vertragspartei ist verpflichtet, ...", so heißt es im Vertrag, also nicht nur die Atomwaffenmächte, sondern auch die Verzichtsstaaten sind zu Verhandlungen verpflichtet.

Was tun, wenn die Atomwaffenmächte nicht wollen?

1. Die schlimmste Konsequenz: Dann sind auch die Verzichtsstaaten nicht an den Verzicht gebunden, denn das Versprechen einer "allgemeinen und vollständigen" Atomwaffenabrüstung ist die Hauptgegenleistung für den Verzicht der anderen Staaten.

"Atomwaffensperrvertrag" bzw. "Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons" heißt der Vertrag nur deshalb, weil die atomwaffenfreie Welt schwerer erreichbar wäre, wenn mehr und mehr Staaten Atomwaffen erlangen.

Den Vertragstitel in eine Richtung umzudeuten, wonach es einigen Mächten auf lange Zeit erlaubt bleibe, einander mittels Atomwaffen abzuschrecken, ist mit Artikel 6 unvereinbar, wie es trotz meiner Intervention zwar noch immer bei Wikipedia zu finden ist, aber immerhin recht zügig im Online-Lexikon der Bundeszentrale für politische Bildung korrigiert wurde, obgleich es dortige Urheberrechte hätten erschweren können.

2. Die bessere Konsequenz aus dem Nichtwollen und Festhalten an atomaren Abschreckungsstrategien ist, dass es als Vertragswidrigkeit wieder und wieder abgemahnt wird.
Genau das machten zahlreiche Staaten bei jeder Atomwaffensperrvertags-Überprüfungskonferenz und auch mit Mehrheiten in UNO-Generalversammlungen deutlich.
Leider stets gegen Widerstände nicht nur der Atomwaffenmächte, sondern auch gegen Widerstände unserer diversen DDR- und Bundesregierungen seit Beitritt 1969.

3. Und wenn die Abmahnungen nichts nutzten, dann ist es folgerichtig, dass die Verzichtsstaaten nicht etwa beleidigt den Atomwaffensperrvertrag kündigten, wozu sie durchaus berechtigt gewesen wären, sondern stattdessen einen sorgsam erarbeiteten Atomwaffenverbotsvertrag auf den Tisch legten, dem sich nun auch die Atomwaffenmächte und auch unsere Bundesregierung fügen sollen.

Der Atomwaffenverbotsvertrag habe "lediglich Symbolkraft"?

Falsch, denn wenn dieser Vertrag von der Staatenmehrheit ratifiziert werden sollte, dann unterscheidet sich seine Legalkraft nicht von anderen völkerrechtlichen Abkommen, bspw. dem Chemiewaffenverbot.
Jedes von Großmächten ungewollte Abkommen hatte es anfangs schwer. Und es wurden trotzdem irgendwann "Rote Linien" daraus.

Wenn schon Kritik, woran es dem Völkerrecht fehlt, dann bitte konsequent, denn ohne übergeordnetes UNO-Gewaltmonopol inklusive überlegenen UNO-Streitkräften ist unser Völkerrecht tatsächlich eher Appell statt Recht, aber solange sich die Völker vorgaukeln lassen, der Frieden sei per Selbstverteidigung zu sichern, wird im Streitfalle der Gang auf die Schlachtfelder sein - anstatt vor Gerichte, denn Selbstjustiz ist die Folge versagendem Gewaltmonopols.

"Da die Atommächte nicht teilnehmen, können die Verhandlungen nichts ändern."

So argumentiert die Bundesregierung, aber es ist abstrus und wäre so, als wenn für Verbote die Zustimmung jeglicher Sünder bräuchte und nicht die Mehrheit des Bundestags genügen dürfte.

Vielmehr ist es so, dass wenn die Staatenmehrheit kein Atomwaffenverbot ausspricht, sich genau deshalb die Atomwaffenmächte damit rausreden können, dem Atomwaffenbesitz stehe kein Verbot entgegen. Und dem Atomwaffeneinsatz dann auch nicht - wäre solche Logik.

Desgleichen verwegen ist die NATO-Stellungnahme, wonach der Atomwaffenverbotsvertrag "die Weltgemeinschaft zu spalten drohe und bestehende Abrüstungsinitiativen behindere".

1. Die Weltgemeinschaft ist jedoch leider "gespalten" - oder wie sonst rechtfertigen die Atomwaffenmächte ihre gegenseitige "Abschreckung"?
Wären sie wirklich willens zur "Weltgemeinschaft", so könnten sie auf ihre atomare Abschreckerei verzichten oder zumindest alle Atomwaffen einem gemeinsamen Oberbefehl unterstellen, der jeglichen Erstschlag, folglich auch jeglichen Zweitschlag, folglich auch den Atomkrieg ausschließt, folglich auch die atomwaffenfreie Welt zum Ergebnis hat.

2. Und von "bestehenden Abrüstungsinitiativen" ist derweil nichts in Aussicht. Stattdessen modernisieren sie sämtlich ihre Atomwaffenarsenale und erhöhen Militärausgaben, versuchen ihre Rivalitäten mit Wettrüsten in den Griff zu bekommen oder eben militärisch auszutragen - mit "flexible response" als "Ultima ratio" zum Selfie-Weltuntergang.

Es ist nicht übertrieben, die Argumentation der Atomwaffenmächte als dreiste Spekulation auf blindes Vertrauen und Desinteresse der Öffentlichkeit zu verurteilen, denn seriöser Prüfung hält sie nicht ansatzweise stand.

Markus S. Rabanus,
Friedensforschung.de


Ich hatte den Artikel am 25.09.2017 zunächst bei ICAN-Facebook gesehen und dort kommentiert. 

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